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4.2 Der unbeständige Handgebrauch und möglichen Ursachen – (11/2011)

Man spricht vom unbeständigen, auch instabilen Handgebrauch, wenn nicht deutlich ist, welche Hand ein Kind bevorzugt. In älteren Büchern wird für diese Beobachtung der Begriff „beidhändig“ genutzt. Allerdings ist diese Bezeichnung sehr irritierend, da er besagt, dass beide Hände zu gleichen Teilen benutzt werden. Außerdem besagt er, dass weder in der Leistungsfähigkeit der Hände noch in der Präferenz ein Unterschied besteht.¹

Dass es sich bei den meisten „Beidhändern“ um Rechts- bzw. Linkshänder handelt, stellt man häufig bei einer gründlichen Untersuchung der Händigkeit fest. Diese Menschen gebrauchen aus individuell verschiedenen Gründen bei den betrachteten Tätigkeiten die Hände wechselnd.

Besonders hervorzuheben sei in diesen Zusammenhang, dass das bewusste feinmotorische Training der rechten und linken Hand beim beidhändigen Malen oder Schreiben den Aufbau einer gesunden Arbeitsteilung im kindlichen Gehirn stört.²

Dieses widerspricht der meistens in ländlichen Gegenden verbreiteten Meinung, dass beidhändiges Schreiben schlauer macht, da die nicht dominante Gehirnhälfte aktiviert und trainiert wird. Deswegen ist es besser von wechselnden oder instabilen Handgebrauch zu sprechen. Dieser wechselnde Handgebrauch kann auf Störungen der Hirnfunktion, eine langzeitig andauernde Ruhigstellung des Armes oder der Hand oder auch auf dem Nachahmungsverhalten, der Anpassung an die Umwelt, einer Hemisparese (eine nicht vollständige Lähmung einer Körperseite durch eine Beschädigung des Gehirnes) oder auf direkter Beeinflussung basieren.

Oft wirken mehrere Störungen gleichzeitig und verstärken sich dadurch. Die Beidhändigkeit ist also auf keinen Fall ein Vorteil gegenüber dem einseitigen Handgebrauch, da es zu keiner Spezialisierung kommt. Es lässt auf Teilleistungsstörungen und Entwicklungsstörungen schließen und es fordert eine Behandlung des Problems um langfristige Schäden zu vermeiden.

Damit man die Handbevorzugung testen kann, muss man die alltäglichen Kulturtechniken wie Malen und Schreiben oder Essen mit Besteck genauer betrachten. Ein besonderes Augenmerk muss auf das spontane Hantieren im freien Spiel des Beidhänders gelegt werden. Es kommt nicht selten vor, dass ein linkshändig veranlagtes Kind bei gelernten Dingen, die hauptsächlich von Erziehung und Nachahmung geprägt sind, mit der rechten, dagegen bei spontanen Tätigkeiten mit der linken Hand hantiert.

Es fällt auch manchmal auf, dass während einer Tätigkeit die Hand ständig gewechselt wird. Tritt dieser Fall ein, ist es sehr ratsam, nach den Ursachen für den instabilen Handgebrauch zu suchen. Dies ist der einzige Weg, um sich Klarheit über die noch verborgene Rechts- bzw. Linkshändigkeit des Kindes zu verschaffen.

¹ Kramer, S.109
² Weber, S.36

Die Gründe, warum es zu einem wechselnden Handgebrauch kommt, sind sehr unterschiedlich (siehe Abbildung 16, Seite 57). Häufig kommt es vor, dass sich die verschiedenen Ursachen gegenseitig beeinflussen. Sie verstärken sich oft gegenseitig und können vor allem bei linkshändig veranlagten Kindern zu einem unterschiedlichen Bild der Handbevorzugung führen.

Da der wechselnde Handgebrauch häufig als „Beidhändigkeit“ interpretiert wird, denken viele Menschen, dies wäre ein Vorteil gegenüber der Einseitigkeit. Diesem Fehldenken stehen jedoch wissenschaftliche Erkenntnisse aus unterschiedlichen Bereichen wie zum Beispiel der Medizin, der Psychologie und der Motologie, die sich mit Wechselbeziehung zwischen den seelischen und körperlichen Vorgängen beschäftigt,³ gegenüber.

Benutzt ein Kind beide Hände, so ist dieses ein Zeichen einer herabgesetzten Spezialisierung der Gehirnhälften. Es wird mit beiden Händen nicht die Geschicklichkeit entwickeln, die ein normales Kind mit Spezialisierung einer Hand besitzt.

Als diagnostisches Mittel für Teilleistungsstörungen und Entwicklungsverzögerungen kann das ständige Wechseln der Arbeitshand herangezogen werden. In jedem Falle sind diese Symptome behandlungswürdig, sollten sie auch kaum auffallen oder gerade wie bei Mädchen scheinbar gut kompensiert werden.

Prinzipiell sollte der Handgebrauch bei Kindern beobachtet, jedoch aber nicht beeinflusst werden. Spielsachen oder Gegenstände sollten weder in die linke, noch in die rechte Hand, sondern immer in die Körpermitte des Kindes gereicht werden. Dies macht eine natürliche Entwicklung der Links- bzw. Rechtshändigkeit möglich.

In vielen verschiedenen Situationen des Alltags muss auf gewisse Dinge geachtet werden, zum Beispiel beim Tischdecken. Die Lage des Bestecks sollte nicht den Gebrauch der rechten oder der linken Hand erzwingen. Genau dasselbe gilt für die Position des Stiftes beim Malen. Der Grund hierfür besteht darin, dass viele Kinder mit wechselndem Handgebrauch das Übergreifen der Körpermitte vermeiden. Das heißt, sie hantieren „seithändig“.

Liegt der Stift links, malen sie mit links. Liegt der Stift am darauf folgenden Tag rechts vom Malbuch, malt sie mit rechts. Liegt der Löffel links, wird mit links gegessen. Liegt er rechts, wird mit rechts gegessen. Dieser sogenannte „Handwechsel“ erfolgt unter anderem auch beim Ausschneiden mit einer Bastelschere.

Diese Art von Kindern vermeidet es im Allgemeinen, im Kindergarten Malbücher auszumalen oder zu basteln, sie widmen sich lieber dem Puppenhaus oder der Bauecke als dem Maltisch. Es ist von großer Relevanz, dass in diesen Stadium nicht nur eine Hand (in den meisten Fällen die Rechte), sondern beide gleichermaßen gefördert werden. Bedeutend ist auch, dass keine Wertung der Hände vorgenommen wird wie etwa „die schöne Hand“ oder „die richtige Hand“.

³ vgl. http://Motopaedie-praxis.eu
Ayres, S.114
Sattler, „Der umgeschulte Linkshänderv“, S.143

Solch eine Beeinflussung stellt eine Art Eingriff in die Regeneration und die Entwicklung des kindlichen Gehirns dar, die bei linkshändig veranlagten Kindern zum Schreiben mit der rechten Hand und in direkter Folge zur Umschulungsproblematik führen kann.

Weber, S.41