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6.1.1 Entwicklung der Händigkeit beim Kleinkind – (12/2015)

Schon im Kleinkindalter ist die Händigkeit ein Merkmal, welches besondere Aufmerksamkeit benötigt. Für ein Kind ist es sehr wichtig, dass die Händigkeit erkannt und unterstützt wird, um die Entwicklung positiv zu beeinflussen.

Die Entwicklung der Händigkeit lässt sich in verschiedene Stufen einteilen. Die erste Phase der Handgeschicklichkeitsentwicklung meint die Zeit zwischen dem ersten und dritten Lebensmonat des Säuglings. In den ersten Monaten nimmt der asymmetrisch tonische Nackenreflex, kurz ATNR, eine wichtige Rolle ein.

Dabei handelt es sich um einen frühkindlichen Reflex, welcher dazu führt, dass das Neugeborene seine Hände nicht in der Körpermitte zusammenführen kann. Durch das Zurückgehen dieses Reflexes im etwa sechsten Lebensmonat werden aus den asymmetrischen Bewegungen nach und nach symmetrische Bewegungen.

Nach etwa zwölf Wochen besitzt der Säugling die Fähigkeit, seine Hände in der Körpermitte zusammenzuführen, wodurch die Hand-Hand-Koordination einzusetzen beginnt.

Außerdem beobachtet das Kleinkind nun auch Gegenstände, wodurch die Hand-Auge-Koordination erkennbar ist. Beide Prozesse sind sehr wichtig für die Entwicklung der Händigkeit und machen somit deutlich, dass schon in den ersten Lebensmonaten Merkmale für die Händigkeit wahrzunehmen sind.

Die zweite Phase der Händigkeitsentwicklung erstreckt sich im Zeitraum vom vierten bis zum sechsten Lebensmonat. Die Hand-Hand- sowie die Hand-Auge-Koordination werden weiter ausgebildet. Dadurch entsteht ein symmetrischer Gebrauch der Hand-Hand-Koordination. Treten dabei starke Asymmetrien auf, weisen diese auf Störungen der motorischen oder sensorischen Entwicklung oder gegebenenfalls auf eine neurologische Störung hin.

Durch die zunehmende Hand-Hand-Koordination agiert der Säugling beidhändig und macht dabei erste Erfahrungen mit seiner aktiveren Hand, der sogenannten Arbeitshand, sowie der weniger aktiven Haltehand. Zwischen Arbeits- und Haltehand wechselt das Kleinkind noch sehr stark und bevorzugt als Arbeitshand meist diejenige, die näher am zu erreichenden Gegenstand ist. Ab dem sechsten Monat übergibt das Kind Gegenstände von einer in die andere Hand.

Dabei wird vom Kind wahrgenommen, dass mit beiden Händen verschiedene Bewegungen durchgeführt werden können. Die folgende Phase der Handgeschicklichkeitsentwicklung findet zwischen dem siebten und neunten Lebensmonat statt. In dieser Phase ist deutlich zu erkennen, dass die Hand-Hand-Koordination immer sicherer wird. Diese Tatsache ist sehr wichtig für die Entwicklung von Arbeits- und Haltehand und ebenfalls für die Händigkeitsentwicklung.

Gleichzeitiges Greifen mit beiden Händen gelingt jedoch noch nicht, da die Zusammenarbeit der Gehirnhälften bisher nicht weit genug entwickelt ist. Allerdings kann das Kleinkind nun die Gegenstände mit einer Hand ergreifen und benötigt hierfür nicht mehr beide Hände dazu. Ab dem achten Monat kann das Kind auch nacheinander mit jeder der beiden Hände Gegenstände erfassen und festhalten. Dies geschieht durch die bessere Zusammenarbeit der Hirnhälften.

Beim Kennenlernen der Gegenstände und Spielen bevorzugt das Kind noch keine Hand, sondern setzt beide gleichermaßen ein. Im etwa neunten Lebensmonat kann das Baby schließlich zwei kleinere Gegenstände mit nur einer Hand erfassen. Dies ist möglich, da die hinteren und vorderen Finger getrennt voneinander eingesetzt werden können. Dieser Vorgang ist eine wichtige Voraussetzung für eine differenzierte Hand- und Fingerkoordination.

Die nächste Entwicklungsphase liegt zwischen dem zehnten und zwölften Lebensmonat des Kleinkindes. Nun kann das Baby die Hände und Finger zusammen, aber auch einzeln bewegen. Beim Entdecken und Spielen mit Gegenständen fördert das Kind Arbeits- und Haltehand.

Dabei tritt noch immer ein wiederholter Wechsel der Hand auf, das heißt, das Kind hantiert teilweise mit der rechten, teilweise mit der linken Hand. Außerdem macht es Erfahrungen mit den Drehrichtungen, indem es die Hände in verschiedene Richtungen dreht. Mit dem zwölften Lebensmonat beginnt der Werkzeuggebrauch des Kindes. So versucht es beispielsweise, selbstständig mit einem Löffel zu essen.

Durch die vielen Erfahrungen ist das Kind in der Lage, Werkzeuge in seine Tätigkeiten einzubeziehen. Bei diesen Tätigkeiten bewegt sich das Kind schon relativ präzise und benutzt eine Hand unbewusst aktiver beziehungsweise führt das Werkzeug mit dieser Hand sicherer.

Vom zwölften bis zum fünfzehnten Monat lässt sich die nächste Entwicklungsphase zusammenfassen. Durch die wachsende Selbstständigkeit des Kindes nimmt auch der Werkzeuggebrauch zu. Beim Entdecken vieler neuer Dinge, wie beispielsweise dem Auf- und Zudrehen eines Wasserhahnes, werden auch die Drehrichtungen weiter entdeckt.

Die Kommunikation des Kindes nimmt zu, es zeigt mit dem Finger auf Personen und Gegenstände. Dabei wird die Bevorzugung einer Hand deutlich. Die anschließende Entwicklungsphase erstreckt sich bis zum neunzehnten Lebensmonat des Kleinkindes. In dieser Zeit wird deutlich, dass das Kind im Umgang mit Werkzeugen, wie dem Löffel, sicherer wird (Abb. 7).

Mit dem Zeigefinger kann es nun schon isolierte und sehr differenzierte Bewegungen ausführen. Dies wird beispielsweise beim Blättern in einem Buch ersichtlich. Bei den vielen neuen Tätigkeiten werden Arbeits- und Haltehand weiter trainiert. Bei ersten Malübungen hält das Kind den Stift im Faust- oder Pfötchengriff. Dabei ist noch keine bevorzugte Hand zu erkennen, da sich das Kind bei dieser neuen Tätigkeit noch sehr unsicher ist.

Nach den oben beschriebenen Phasen der Händigkeitsentwicklung lassen sich die folgenden in halbjährliche Abschnitte einteilen.
Zwischen dem achtzehnten Lebensmonat und dem zweiten Lebensjahr zeigt sich die Bevorzugung einer Hand bei vielen Tätigkeiten. Arbeits- und Haltehand sind nun noch stärker ausgeprägt. Diese Bevorzugung einer Hand wird in der Literatur oft auch als Handpräferenz bezeichnet.

Bei weiteren Malversuchen wird zunehmend deutlich, dass das Kind versucht, herauszufinden, mit welcher Hand das Malen besser gelingt. Diese Hand setzt es daraufhin verstärkt hierfür ein. Bis zur Hälfte des zweiten Lebensjahres lässt sich die nächste Handgeschicklichkeitsentwicklungsphase erkennen. Beim Aufnehmen der Nahrung wird noch sehr viel Zeit in Anspruch genommen, eine deutliche Bevorzugung einer Hand ist jedoch erkennbar. Die Ausprägung von Arbeits- und Haltehand zeigt sich ebenfalls deutlicher.

Bei Erreichen des dritten Lebensjahres nehmen die Kenntnisse der Drehrichtungen mit der Ausprägung von Arbeits- und Haltehand immer stärker zu. Beim Spielen mit Bauklötzen und Ähnlichem ist eine bevorzugte Spielrichtung zu erkennen. Dazu lässt sich sagen, dass „[linkshändige] Kinder […] häufig von rechts nach links [bauen], da sie sich beim Spielen auf dem Boden eher mit ihrer rechten Hand aufstützen, mit der linken Hand die Spielsachen aneinanderreihen und ihre Blickrichtung häufig von rechts nach links verläuft.

Bei rechtshändigen Kindern ist es genau anders herum.“ (Kisch/ Pauli, 2011, S. 30). Beim Malen sind noch Handwechsel beim Halten des Stiftes zu erkennen. Eine bevorzugte Hand, mit der das Malen besser gelingt, fällt ebenfalls auf.

Innerhalb der nächsten sechs Monate kommt es zur Automatisierung von Arbeits- und Haltehand, wodurch viele Handgriffe, wie beispielsweise das Öffnen einer Jacke, besser gelingen. Bei den ersten Schneideversuchen werden vom Kind zunächst beide Hände benutzt. Sobald es merkt, dass dies nicht funktioniert, da das Papier dann nicht festgehalten werden kann, geht es zum einhändigen Schneiden über.

Bei allen Tätigkeiten, die vom Kind mit beiden Händen durchgeführt werden, wird eine deutliche Ausprägung von Arbeits- und Haltehand noch weiter verstärkt. Durch die genauer werdenden Darstellungen beim Malen lässt sich eine Richtung erkennen, mit der das Kind bevorzugt malt.

Linkshändige Kinder ziehen ihre Striche meist von rechts nach links, bei rechtshändigen Kindern ist es genau umgekehrt. „[Das lässt sich auf eine anatomische Gegebenheit zurückführen, bei der es einfacher ist,] eine[n] waagerechte[n] Strich zu ziehen als zu schieben und die Wahrnehmungsrichtung von Linkshändern […] häufig von rechts nach links [verläuft].“ (Kisch/ Pauli, 2011, S. 31).

Innerhalb des nächsten halben Jahres wird das Ausschneiden von Formen sicherer und eine Schneiderichtung ist zu erkennen. Bei Linkshändern ist diese im Uhrzeigersinn von links nach rechts, bei Rechtshändern entgegen dem Uhrzeigersinn von rechts nach links (Abb. 8). Im Umgang mit Werkzeugen, wie der Gabel, wird das Kind immer sicherer und eine bevorzugte Hand setzt sich stärker durch.

Auch beim Malen wird die Händigkeit deutlich. Die Platzierung der dargestellten Dinge auf dem Blatt weist auf einen Links- beziehungsweise Rechtshänder hin. Linkshänder neigen dazu, das Blatt mehr auf der rechten Hälfte zu bemalen, Rechtshänder auf der linken Blatthälfte. Kinder, bei welchen eine Händigkeit noch nicht sicher zu erkennen ist, wechseln häufig ihre Hand beim Malen oder Schneiden und nutzen oftmals beide Hände gleichzeitig beziehungsweise gleichermaßen.

Mit viereinhalb Jahren zeigt das Kind nach und nach mehr Interesse an kleinen Spielen und Bastelarbeiten, wie beispielsweise Memory oder dem Malen mit Wasserfarben. Dabei werden Arbeits- und Haltehand immer weiter ausgeprägt und die Händigkeit wird stabilisiert. Bei Tätigkeiten, für die das Kind Kraft aufbringen muss, ist deutlich zu erkennen, welche der Hände die kräftigere ist. Ein Beispiel hierfür ist das Öffnen von Türen.

Die Händigkeit ist in der anschließenden Entwicklungsphase, der Zeit bis zum fünften Lebensjahr, nun endgültig festgelegt. Bei vielen Übungen, wie dem Zuknoten eines Fadens, ist die eindeutige Festlegung von Arbeits- und Haltehand zu erkennen.
Bis zum Schulbeginn, also meist ab dem sechsten Lebensjahr, liegen noch zwei Entwicklungsphasen vor dem Kind.

In der ersten dieser beiden Phasen, der Zeit zwischen dem fünften und sechsten Lebensjahr, führt das Kind bereits exakte und feine Bewegungen mit der dominanten Hand aus. Auch das Schleifebinden wird nun erlernt. Dabei wenden viele linkshändige Kinder die Variante der Rechtshänder an, da es ihnen so von ihren rechtshändigen Eltern oder Erziehern beigebracht wird.

Im letzten halben Jahr vor der Einschulung ist die Hand-Hand-Koordination sehr sicher, ebenso die Händigkeit. Isolierte Fingerbewegungen und sichere Richtungswahrnehmungen fallen leicht. Auch die Arbeits- und die Haltehand arbeiten sicher zusammen, wodurch viele Tätigkeiten, wie das Ausschneiden, erleichtert werden (Kisch/ Pauli, 2011, S. 24 ff.).