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5.3 Die Rückschulung – (12/2015)

Früher mussten Linkshänder, welche auf die nicht dominante Hand umerzogen wurden, trotz der auftretenden Schwierigkeiten ihr ganzes Leben lang die rechte Hand als aktivere benutzen. Diese Tatsache wird in den letzten 15 Jahren immer mehr in Frage gestellt. Aufgrund dessen lassen sich zunehmend Betroffene aus verschiedenen Altersgruppen auf die linke Hand zurückschulen, um ihre dominante Hand für alle Tätigkeiten und vor allem zum Schreiben zu benutzen.

Zunächst ist es aber wichtig, sich bewusst zu machen, dass eine Rückschulung „ […] ein Experiment mit dem Gehirn des Betroffenen ist“ (Sattler, 1998, S.145). Bei diesem spielt besonders die Psyche eine wichtige Rolle und es kann zu unerwarteten Reaktionen kommen. Durch psychische Probleme, die auch mit den Umschulungsfolgen zusammenhängen, können neurotische und psychosomatische Erscheinungsformen und Krankheiten entstehen. Daher sollte eine Rückschulung nur in Begleitung eines Psychotherapeuten stattfinden.

Bevor eine Rückschulung durchgeführt wird, müssen verschiedene Aspekte mit in die Entscheidung einfließen. Zunächst muss sich mit dem Alter des Betroffenen auseinandergesetzt werden. Prinzipiell existiert keine Altersbeschränkung für eine Rückschulung. Zwar gibt es verschiedene Altersphasen, in welchen eine Rückschulung angebracht beziehungsweise unangebracht scheint, doch ist es wichtiger, auf andere entscheidende Aspekte zu achten.

Während ein Kind die Schule besucht, sollte die Umschulung vor dem Einsetzen der Pubertät vonstattengehen, da das Gehirn in der Reifungsphase die Rückschulung leichter verarbeiten kann. Die Kinder lernen in der Schule relativ zügig schreiben und müssen bereits in der dritten beziehungsweise vierten Klasse eine gewisse Schriftgeschwindigkeit vorweisen.

Daher muss auf ein Kind während einer Rückschulung besonders Rücksicht genommen werden, damit es dem Schreibtempo gerecht werden kann und nicht aufgibt. Wie einfach die Rückschulung abläuft, ist von Kind zu Kind unterschiedlich. Einige haben keinerlei Probleme, ihren Handgebrauch zu wechseln, andere führen innere Kämpfe mit sich selbst und zweifeln an der Richtigkeit.

Auch für Erwachsene ist eine Rückschulung möglich. Zwar ergeben Tests, dass viele der Betroffenen auch nach der Rückschulung noch unter Konzentrations- und Gedächtnisstörungen leiden, jedoch sind diese schwächer als zuvor. Außerdem wird geschildert, dass sie weniger unter „Blackouts“ leiden und seltener den Faden im Gespräch verlieren.

Ein weiterer wichtiger Punkt, der vor einer Rückschulung untersucht werden sollte, ist die Einstellung des Betroffenen und seiner Bezugspersonen zur Linkshändigkeit und einer Rückschulung. Damit verbunden muss sich außerdem mit der Art und Weise der früher statt gefundenen Umschulung auseinandergesetzt werden.

Sollte die Umschulung durch körperliche oder physische Bestrafung oder durch die Abwertung der linken Hand stattgefunden haben, ist es möglich, dass das Kind seelische Beeinträchtigungen davonträgt. Das Kind vermeidet durch unterbewusste Verdrängungen und Hemmungen die Auseinandersetzung mit der Linkshändigkeit. Dies wirkt einer Rückschulung stark entgegen.

Des Weiteren muss der Umschulungsgrad vor einer Rückschulung ermittelt werden. Darunter ist zu verstehen, ob verschiedene Tätigkeiten noch mit der linken Hand oder beidhändig durchgeführt werden. Dies wird durch die Feststellung begründet, dass Tätigkeiten, wie das Musizieren, ein beidhändiges Agieren fordern und somit eine Rückschulung positiv beeinflussen.

Außerdem sollte überprüft werden, ob die betroffene Person nach der Umschulung zeitweilig wieder mit der linken Hand geschrieben hat. Ist dies der Fall, fällt eine Rückschulung meist leichter. Da das ständige Wechseln des Handgebrauchs zum Schreiben während der Schulzeit jedoch mehr negative Folgen hervorruft, sollte dies dringend vermieden werden. Hat ein solcher Wechsel dennoch stattgefunden, fällt es den Personen im Erwachsenenalter leichter, sich wieder auf die dominante Hand umzustellen.

Damit eine Rückschulung gelingt, muss vor Beginn herausgefunden werden, ob eine minimale zerebrale Dysfunktion beziehungsweise Teilstörung vorliegt. Diese, die Gehirnabläufe störenden Irritationen, werden vor allem durch Geburtstraumata hervorgerufen. Kinder, welche darunter leiden, werden durch eine Umschulung zerebral doppelt belastet. In Bezug auf die Rückschulung sind die Aussichten für Personen mit einer solchen Störung sogar besser, jedoch bleiben die zerebralen Störungen vorerst bestehen und regenerieren sich nur langsam.

Bei Menschen, die emotional nicht ausreichend belastbar sind, kann es zu Enttäuschungen und zum Aufgeben der Rückschulungsübungen führen. Dies ist gerade bei Kindern sehr gefährlich, da die Erwartungshaltung durch die zunächst leichter fallende Rückschulung wächst, wodurch sich die Erfolge letztendlich negativ auswirken. Um dies zu vermeiden, muss sehr viel Zeit für die Rückschulung eingeplant werden.

Um zu entscheiden, ob eine Rückschulung sinnvoll ist, sollte über die Rolle des Schreibens im alltäglichen Leben des umgeschulten Linkshänders nachgedacht werden.
Personen, die handschriftlich viel zu erledigen haben, sollten sich gut überlegen, ob sie eine Rückschulung wagen. Dies betrifft vorwiegend Menschen, welche beispielsweise unter Zeitdruck Notizen anfertigen müssen.

Da die Betroffenen mit der linken Hand meist nicht das erforderte Schreibtempo erreichen, sind sie gezwungen, auf die rechte Hand zurückzugreifen, um mit dieser zu schreiben. Dadurch werden Gehirnprozesse durcheinandergebracht. Zwar ist es möglich, beispielsweise im Urlaub, druckfrei mit den Übungen zu beginnen, doch ist trotz allem nicht sicher, ob die Person bereits firm genug für den Berufsalltag ist.

Besonders Personen, die sehr viel schreiben, verwenden Kürzel, verschiedene Auslassungen und Stichworte. Gehen sie ihre Aufzeichnungen im Anschluss durch, so werden auch diverse Gedanken und Zusammenhänge deutlich, welche nicht notiert wurden. Solche mnemotechnischen Hilfskonstrukte, welche teilweise sehr kompliziert aufgebaut sind, können durch eine Rückschulung stark strapaziert oder ganz zerstört werden.

Ist es für den Beruf des Betroffenen von Nöten, Gedächtnisinhalte schnell zu reproduzieren und sich stark zu konzentrieren, dann kann sich eine Rückschulung gefährlich auswirken. Gerade, weil diese Personen ihre Zeit meist nicht selbst einteilen können und so auf die benötigten Freiräume verzichten müssen. In solchen Berufen ist keine Schonzeit vom Arbeitgeber zu erwarten, sodass die Betroffenen ihre gewohnte Leistung erbringen müssen.

Aufgrund dessen bewegen sie sich ständig zwischen Sachzwängen und einem inneren Druck. Dies betrifft auch Personen, die sich im Studium beziehungsweise in der Ausbildung befinden. Eine Rückschulung in dieser Zeit kann zu einer Verlängerung des Studiums sowie zum Abbruch der Ausbildung führen.

Selbstverständlich spielen auch die aktuellen Lebensbedingungen eine erhebliche Rolle bei der Entscheidung für oder gegen eine Rückschulung. Es ist wichtig, dass diese nicht während einer Krisen- oder Umbruchszeit stattfindet. In solchen Zeiten benötigen die Menschen mehr Energie als gewöhnlich und eine Rückschulung würde eine zusätzliche Belastung darstellen, welche zu einem physischen oder psychischen Zusammenbruch führen kann.

Zu solchen ungünstigen Lebenssituationen zählen sowohl die Ausbildungs- beziehungsweise Studienzeit und der Wechsel des Arbeitsplatzes als auch Beziehungsprobleme oder eine Trennung. Wird unter Instabilität gelitten, die durch eine körperliche oder psychische länger andauernde Krankheit oder durch eine starke Belastung aufgrund psychischer Labilität beziehungsweise durch die Krankheit eines nahestehenden Menschen hervorgerufen wird, sollte ebenfalls auf eine Rückschulung verzichtet werden.

Somit ist ein Zeitpunkt zu wählen, der durch Kontinuität gekennzeichnet ist, was bedeutet, dass ein regelmäßiger Tages- und Wochenablauf sowie ein stabiles Berufs- und Privatleben vorliegen.

Letztendlich sind die zu erwartenden Veränderungen das entscheidende Kriterium für oder auch gegen eine Rückschulung. In den meisten Fällen führt dies zunächst zur Verbesserung des Schriftbilds und einer erhöhten Schreibgeschwindigkeit. Aber auch der Abbau von Wortfindungsproblemen und Blackouts sowie Konzentrations- und Gedächtnisverbesserung spielen eine Rolle.

Einige hoffen ebenfalls darauf, dass die sekundären, psychischen und psychosomatischen Probleme gelöst werden. Allerdings ist zu bedenken, dass sich Schwierigkeiten aus dem Bereich der Sekundärfolgen nicht ohne Weiteres lösen lassen, sondern dafür eine Psychotherapie besser geeignet ist.

Insgesamt ist es wichtig, zu verstehen, dass es keine Garantie für eine geglückte Rückschulung gibt und nicht in jedem Fall mit einer Besserung der Symptome zu rechnen ist. Dennoch kann eine Rückschulung zu einer erheblichen Verbesserung auf verschiedensten Gebieten führen und ist daher unter entsprechenden Voraussetzungen durchaus einen Versuch wert (Sattler, 1998, S.143 ff.).