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5.2 Folgen – (12/2015)

Die Umstellung der Händigkeit ruft, egal auf welcher Umschulungsmethode beruhend, stets massive negative Folgen hervor, wobei zwischen Primär- und Sekundärfolgen unterschieden wird (Sattler, 1998, S. 49 f.).
Die Primärfolgen sind logische Konsequenzen der Überbelastung, welche durch die Umschulung entsteht (Bremer, 2010, S. 22).

Zunächst zählen zu diesen Folgen Gedächtnisstörungen. Umgeschulte Linkshänder benötigen längere Zeit, um Inhalte zu erlernen, Einzelheiten vergessen sie schnell wieder und ähnlich klingende Wörter bringen sie häufig durcheinander. Außerdem haben sie Probleme beim Abrufen von einzelnen Lerninhalten, was besonders im schulischen Bereich sehr belastend ist.

Der gelernte Stoff ist oftmals wie ausgelöscht, sodass von einem ‚Blackout’ gesprochen wird. Es ist kein Verlass auf das eigene Gehirn, da nicht vorhersagbar ist, ob die erlernten Informationen abrufbar sind.
Da umgeschulte Linkshänder viel mehr Energie für die Versorgung des Gehirns benötigen, haben sie meist kürzere Konzentrationsphasen, was zu Konzentrationsstörungen führt.

Besonders in der Schule stehen sie vor einer Herausforderung, da die Schulstunden für sie zu lang sind. Deshalb ziehen sich viele von ihnen in eine Traumwelt zurück oder werden unruhig. Das wiederum hat zur Folge, dass große Lücken im Lernstoff entstehen.

Aufgrund der Konzentrationsstörungen können viele nicht abwarten und anderen zuhören, da sonst die Gefahr besteht, den Gedanken wieder zu vergessen, weshalb sie anderen oft ins Wort fallen. Wegen der mangelnden Konzentration vergessen umgeschulte Linkshänder häufig Zusammenhänge im Gespräch und wiederholen, um dies einzuschränken, oft Gedanken.

Auch das Mitschreiben von Vorträgen kann zu einer großen Herausforderung werden. Zunächst stellt dies zwar kein Problem dar, aber nach etwa 15 Minuten fällt die Konzentration massiv ab und der gehörte Satz ist nicht wieder abrufbar.
Des Weiteren tritt im Zusammenhang mit der Umschulung häufig Legasthenie auf, auch wenn diese nicht unbedingt darauf beruht.

Im Bereich der Lese- und Rechtschreibschwäche haben umgeschulte Linkshänder meist folgende Probleme: Sie verdrehen beim Lesen Buchstaben und Zahlen, bei Diktaten unterlaufen ihnen Flüchtigkeitsfehler, welche bei zunehmender Textlänge mehr werden. Hinzu kommen Schwierigkeiten beim Lesen begleitet von Ermü- dungserscheinungen.

Die wohl naheliegendste Folge ist die Links-Rechts-Unsicherheit. Umgeschulte Linkshänder verwechseln die Seiten oft bis ins Erwachsenenalter. Außerdem können sie gesagte Seitenangaben ‚falsch hören‘, wodurch es zu Fehlern beim Reagieren kommt. Dies kann besonders im Straßenverkehr gefährlich werden, weshalb viele umgeschulte Linkshänder auf den Führerscheinerwerb verzichten.

Zwar ist möglich, als Kind die Seiten durch bestimmte Körpermerkmale zu erlernen, doch sollten hierbei nicht beide Seiten gleichzeitig beigebracht werden, um die sogenannte ‚Ranschburgsche Hemmung’ zu vermeiden. Diese kann bei zeitlich zu engem Erlernen eintreten. Durch die Raum-Lage-Labilität kann es zu Unsicherheiten bei Drehbewegungen kommen. Dies ist zum Beispiel beim Binden von Schleifen oder bei Drehbewegungen beim Tanzen der Fall.

Für viele Menschen ist eine schöne und ordentliche Handschrift ein Bedürfnis, doch umgeschulte Linkshänder haben damit enorme Probleme. Die nicht dominante Hand lässt sich schwerer kontrollieren und es gelingt keine Schrift, die rund und flüssig ist (Abb. 5 und 6).

Dies ist die auffälligste Form der feinmotorischen Störungen, doch es gibt auch andere Bewegungen, welche präzise durchgeführt werden müssen und so zum Problem für den umgeschulten Linkshänder werden. Oftmals sind sie bei solchen Handlungen – beispielsweise dem Greifen einer Tasse – ungeschickt und ungelenk.

Häufig leiden umgeschulte Linkshänder an Sprachstörungen. Dies zeigt sich im zeitweiligen Stottern, welches sich aber im Alter wieder verliert. Allerdings hält die Tatsache, dass viele bestimmte Wörter nicht bis zum Ende aussprechen, bis ins Erwachsenenalter an. Hierbei setzen sie das Wort neu an, um es anschließend vollständig auszuformulieren. Dies geschieht meist in Stresssituationen oder wenn die Person lange Zeit wenig gesprochen hat.

Aus den primären Folgen ergeben sich unmittelbar die Sekundärfolgen. Es ist wichtig, zu verstehen, dass diese Folgen nicht nur durch die Umschulung hervorgerufen werden, sondern auch andere Ursachen haben und mit verschiedenen Dingen zusammenhängen.

Hierzu zählen äußere Einflüsse, Erlebnisse, Persönlichkeitseigenschaften, aber auch Eltern und Geschwisterkonstellation sowie die eigene Lebenssituation. Die Umschulung verstärkt allerdings psychiatrische Störungen und Fehlfunktionen. Jeder umgeschulte Linkshänder leidet somit unterschiedlich stark unter den Folgen.

Durch die Unsicherheit, ob auf die eigene Intelligenz Verlass und das Erlernte abrufbar ist, leiden viele umgeschulte Linkshänder unter Minderwertigkeitsgefühlen, Rückzugstendenzen und Labilität im Umgang mit anderen Menschen sowie Leistungsanforderungen in Prüfungen. Häufig versuchen umgeschulte Linkshänder, ihre Probleme durch Überkompensation auszugleichen und zeigen erhöhten Leistungseinsatz.

Dies wirkt teilweise wie eine Verhaltensstörung oder führt zu einer massiven Überanstrengung, sodass der Körper psychosomatisch reagiert. Daraus ergibt sich eine weitere Sekundärfolge, die psychosomatischen und neurotischen Störungen.

Umgeschulte Linkshänder sind am Abend meist sehr erschöpft, legen sich früh schlafen und sind beispielsweise nicht mehr in der Lage, lange Diskussionen zu führen, da ihnen die Kraft fehlt. Andere verarbeiten ihre Belastungen in einem neurotischen Störungskreis.

Umgeschulte Linkshänder benötigen mehr Energie für psychische und somatische Abläufe. Wenn die Kräfte aufgebraucht sind, kann es zu körperlichen Funktionsstörungen mit psychischem Grund kommen, wie Schweißausbrüchen, Lidflattern, Muskelzuckungen, Ticks, Kopfschmerzen und Schlafstörungen.

Ein typisches Kompensationsverhalten für Minderwertigkeitsgefühle ist das Nagelkauen aufgrund des starken inneren Drucks. Es ist sehr schwer, damit aufzuhören, wenn es zu einer Gewohnheit geworden ist.
Während der Umschulungsphase tritt häufig Bettnässen auf. Die Kinder müssen mit den Umschulungsfolgen umgehen und ihre Kräfte für die Schulbelastungen verwenden.

Sie träumen vor sich hin und sind überfordert. Aus diesem Grund sind sie oft sehr erschöpft und schlafen so fest, dass sie den Drang, zur Toilette zu gehen, als Traum wahrnehmen. Wenn sich die Kinder erst einmal auf die neue Situation eingestellt haben, geht diese Phase vorbei. (Sattler, 1998, S. 56-90)