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3.1 Gründe für eine Umschulung – (10/2010)

„Die Umstellung der angeborenen Händigkeit ist eine der massivsten Eingriffe in das menschliche Gehirn ohne Blutvergießen“ ([9], S. 22). So bezeichnet die Leiterin der ersten deutschen Beratungsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder, Johanna Barbara Sattler, was im menschlichen Gehirn bei einer Umschulung geschieht. Die Gründe für eine Umschulung, Umerziehung oder Umpolung sind meist Vorurteile oder Unkenntnis von Eltern oder Lehrern über die möglichen dramatischen Folgen.

In vielen Gesellschaften und Kulturen lässt sich deutlich eine Abwertung der linken Seite erkennen. Diese wird häufig mit negativen Eigenschaften in Verbindung gebracht. Bereits die alten Griechen sahen die linke Seite und somit die linke Hand als „die Unglück bringende“ ([25]). Auch im Islam und vielen anderen Kulturen gilt sie als schlechte oder gar böse Seite. Dies findet sich auch in vielen Sprachen wieder.

Im Deutschen lässt sich eine deutliche Abwertung der linken Seite in bestimmten Redewendungen feststellen. So beziehen sich Sprichwörter wie „zwei linke Hände haben“ oder „ein linker Typ sein“ deutlich auf die negativen Eigenschaften der linken Seite und somit auch der Linkshänder, welche in der damaligen Gesellschaft verankert waren.

Betrachtet man die Bedeutung von „links“ oder „Linkshänder“ in verschiedenen Sprachen, stellt man fest, dass ein Begriff oftmals zwei Bedeutungen hat: Zum einen bezeichnet er den Menschen, der bevorzugt die linke Hand benutzt, zum anderen aber auch negative Eigenschaften. Im Französischen beispielsweise ist die Bezeichnung für einen männlichen Linkshänder „gaucher“, was vom Wort „gauche“ abgeleitet wurde. Dies bedeutet sowohl „links“ als auch „tollpatschig“.

Auch im russischen hat die Bezeichnung für einen Linkshänder „levsjtsa“ die Nebenbedeutung „Tölpel“. (vgl. [11], S. 299) Mit Beginn der allgemeinen Schulpflicht und der „Industrialisierung mit genormten Maschinen“ ([25]) war ein einheitlicher Handgebrauch in der Gesellschaft notwendig. Aufgrund der seit jeher bestehenden Abwertung der linken Seite begann man, Kinder, welche bevorzugt die linke Hand benutzten, auf die rechte Hand umzuschulen.

Bei der Auswertung unserer Umfrage fanden wir heraus, dass 81% der Befragten der Annahme waren, dass es in unserer heutigen Gesellschaft keine mutwillige Umerziehung der Händigkeit gibt. Zu dieser Annahme führt bei 20% unserer Befragten der Fakt, dass die Risiken der Umschulung in unserer heutigen Gesellschaft besser bekannt sind. Jedoch waren 19% der Befragten davon überzeugt, dass dies auch heute noch durchgeführt wird.

Häufig genannte Gründe für diese Vermutung ist die Tatsache, dass die heutige Elterngeneration selbst an die Umschulung gewöhnt ist und diese als Notwendigkeit ansieht. Andere nannten die als normal betrachtete rechte Hand in unserer Gesellschaft als Grund dafür, dass viele Eltern ihre Kinder umschulen, um ihnen das Leben in unserer an die Rechtshänder angepassten Gesellschafft zu erleichtern.

In Deutschland war es bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts üblich, linkshändige Kinder auf rechts umzuschulen. Doch durch eine bessere Aufklärung über die möglichen Folgen wird dies heute nicht mehr durchgeführt und ist „in den Lehrplänen einiger Bundesländer […] ausdrücklich verboten“ ([14]).

Um eine optimale Entwicklung für alle linkshändigen Kinder zu gewährleisten und um sicher zu gehen, dass bei ihnen auf eine richtige Schreibhaltung geachtet wird (vgl. 5.1.1), wäre es von Vorteil, dies einheitlich in alle Lehrpläne zu integrieren.