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3.4 Eigene Erkenntnisse – (11/2005)

Um mir selbst ein Bild vom „Innenleben“ eines umgeschulten Linkshänders zu machen, habe ich einem mir unbekannten Betroffenen einen Fragebogen zur Beantwortung von Charakter und Verhaltensfragen gegeben (siehe Anlage 6). Bei der Auswertung, die ohne Beisein des Befragten erfolgte, konnte ich folgendes feststellen:

Das Vorurteil, dass umgeschulte Linkshänder eine stärkere Neigung zum Widerspruch haben als Rechtshänder, was heißt, dass man eine „Ja-aber-Haltung“ annimmt, konnte ich in diesem Fall nicht feststellen. Genauso wenig stimmte die Annahme bei dem Befragten, dass wichtige Gedankengänge in Gesprächen und Diskussionen ausgelassen werden.

Er ist sehr wohl in der Lage in einem Gespräch auf hoher intellektueller Ebene seinen Standpunkt klar und präzise zu formulieren. Hingegen stimmte die Annahme, dass ein umgeschulter Linkshänder betont assoziativ denkt, mit dem Befragten überein. Das kann man damit erklären, dass das Hör- und Reizzentrum in der rechten Hirnhälfte liegt und so stärker vom biologischen Linkshänder benutzt wird.

Allerdings stimmte in dem speziellen Fall nicht, dass umgeschulte Linkshänder verstärkt die Angewohnheit haben, dem Redenden ins Wort zu fallen. Meiner Meinung nach gibt es diese Unart wie auch die Rechthaberei, bei Links- wie auch Rechtshändern und ich glaube nicht, dass eine Umschulung dies fördert. Die Minderwertigkeitsgefühle, welche durch die schon erwähnten Folgen einer Umschulung entstehen, wirken sich, wie der Betroffene zeigt, auch im Alltag aus. Er verkauft sich sprichwörtlich unter Wert, aus der Angst heraus, nicht mithalten zu können.

Ein Trugschluss wäre es zu glauben, dass sich umgeschulte Linkshänder bevorzugt Partner suchen, welche auch ein Handicap haben. Leider muss ich bestätigen, dass auch die getestete Person zur Mimosenhaftigkeit neigt. Sie hält schnell an getroffenen Meinungen fest, was im Gespräch zu Konflikten führen kann. Bei dem Betroffenen ist allerdings bemerkenswert, dass er meint, sich trotz des Festhaltens an der ersten Meinung nicht undiplomatisch im Umgang mit seinen Mitmenschen zu verhalten.

Das kann daran liegen, dass sich umgeschulte Linkshänder meist anders einschätzen als andere das tun. Hier sehe ich allerdings Parallelen zu biologischen Rechtshändern, da es auch bei ihnen Fehleinschätzungen der eigenen Person gibt. Wie bei allen Menschen mit einer Benachteiligung fühlen sich auch umgeschulte Linkshänder dauernd beobachtet und angegriffen.

Deshalb kann anderen Menschen gegenüber ein übermäßiges Misstrauen, verbunden mit dem Gefühl sich ständig wehren zu müssen, entstehen. Das trifft aber, wie gesagt, nicht nur im Besonderen auf umgeschulte Linkshänder zu. Man könnte meinen, wer zu Mimosenhaftigkeit neigt, würde dadurch ebenfalls eigenbrötlerische Verhaltensweisen aufzeigen. Bei der Testperson konnte ich dies jedoch nicht nachweisen. Auch neigt die Testperson nicht zu Verschrobenheit.

Ich kann aber nachvollziehen, dass man meint, entspannendes Geplauder ist für umgeschulte Linkshänder sehr anstrengend, da es durch die Umschulung zum „Knoten im Gehirn“ kommt, was nichts anders heißt, als dass Linkshänder für die gleiche Denkintensität wie ein Rechtshänder mehr Leistungseinsatz braucht. Das würde dieses Phänomen erklären, auch wenn meine Testperson nicht darunter leidet.

Im Gegenzug neigt auch die Testperson zu Überkontrolliertheit, entschiedener Härte gegen sich und andere und der Entwicklung einer strengen Persönlichkeit. Ich kann mir das so erklären, dass Betroffene gesteigerten Einsatz und Leistung zeigen, um von ihren Schwächen abzulenken. Das trifft aber wieder auf alle in irgendeiner Weise benachteiligte Menschen zu und ist keine Einzelerscheinung, die nur bei umgeschulten Linkshändern aufkommt.

Aus diesem Fragebogen schließe ich, dass sich nur die „Small Talk Theorie“ bestätigt hat, d.h. dass umgeschulte Linkshänder ein entspanntes Gespräch nicht als ein solches empfinden. Alle anderen Aussagen zu „Schwächen und Fehlern“ treffen auch auf andere Handicapgruppen zu. Nicht alle Theorien und Regeln aus der Forschung und Beobachtung treffen bei der Testperson zu. Das zeigt, dass sie nur Richtwerte und Richtlinien sind, denn Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel.