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6.4.1 Primärfolgen – (10/2016)

Wenn die natürliche Händigkeit nicht ausgelebt werden kann, dann ist das ein fataler Eingriff in die Psyche des Menschen. Durch den dauerhaften Einsatz der nicht dominanten Hand ist mehr Kraft nötig, um auf der gleichen Stufe von Intelligenz bleiben zu können, als wenn die dominante Hand dafür genutzt würde.

Das führt auf Dauer zu einer Überlastung und bedeutet einen um 30 Prozent erhöhten Energieaufwand für das Gehirn.² Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen. Von Person zu Person unterschiedlich, treten Auswirkungen verschiedener Art und Intensität auf. Es ist anzumerken, dass die im Folgenden genannten Erscheinungen auch ohne Zusammenhang mit einer Umschulung der Händigkeit entstehen können.

Eine Umschulung unterstützt dies aber. Weiterhin kann gesagt werden, dass nicht jeder Umgeschulte von allen Folgen betroffen sein muss. Es gibt große Differenzen zwischen den Personen. Individuelle Unterscheidungsmerkmale können die jeweiligen Charakterzüge, der Grad der Umschulung, das Alter und die aktuelle Lebenssituation sein.

Eine der schwerwiegendsten Folgen kann eine Gedächtnisstörung sein. Der betreffenden Person fällt das „Aufnehmen, Behalten und Abrufen von Lerninhalten“³ schwerer. In Situationen, in denen sie Stress ausgesetzt ist, kann es zu Verwechslungen und panischen Reaktionen oder sogar Blackouts kommen. In vielen Fällen „dauert es immer ein Stück, bis man etwas begriffen hat. Man muss erst nachdenken, was gemeint ist.“.

Auch Konzentrationsstörungen können eine Folge der Umschulung der Händigkeit sein. Es kommt öfter zu Ermüdungserscheinungen und man hat eine Pause nötig. Gerade Kindern wird dann Faulheit unterstellt, worauf diese sich missverstanden fühlen. Auffällig ist ebenfalls, dass umgeschulte Linkshänder häufig anderen ins Wort fallen oder die Gedanken einfach so in ein Gespräch einwerfen. Meist geschieht das aus Angst, der Gedanke könnte zu schnell wieder vergessen sein und muss deshalb sofort gesagt werden.

 

 

² Vgl. Bremer, Judith: „Einfach links schreiben: praktischer Ratgeber für Eltern, Lehrer und Erzieher“/ VAK Verlags GmbH Kirchzarten bei Freiburg/ 2010/ S. 21
³ Sattler, Johanna Barbara: „Der umgeschulte Linkshänder oder der Knoten im Gehirn“ / Auer Verlag GmbH Donauwörth / 2010 / S.56
Siehe Anhang /Auszug 12. Interview mit Frau E.
Vgl. Sattler, Johanna Barbara: „Der umgeschulte Linkshänder oder der Knoten im Gehirn“ /Auer Verlag GmbH Donauwörth / 2010 / S. 61 ff.

 

 

 

Außerdem können auch Probleme, wie die Lese-Rechtschreib-Schwäche auftreten. Beim Schreiben entstehen dann Flüchtigkeitsfehler und Buchstabenverwechslungen und der Stift wird oft verkrampft gehalten. Chronische Schmerzen in Schulter und Nacken sind die Folge. Das Lesen fällt schwer und ist stockend. Die Rechts-Links-Unsicherheit, auch genannt „Raum-Lage-Labilität“¹ kann zu einer Gefahr im Straßenverkehr werden, aber auch Probleme im Alltagsleben mit sich bringen.

Feinmotorische Störungen, wie ein schlechtes Schriftbild, fallen dagegen seltener direkt als eine Folge der Umschulung auf. Dennoch haben Umgeschulte oft Koordinationsschwierigkeiten, sie können sich nicht mit einer Schrift identifizieren und probieren verschiedene aus.² Sprachstörungen können sich ebenfalls aus einer Unterdrückung der Auslebung der Dominanz ergeben. So kann zum Beispiel gelegentlich Stottern auftreten. Überraschend und doch nicht ungewöhnlich sind das Bettnässen und auch Zeiten, in denen sich die Person komplett zurückzieht.

Eine Befragung von, in ihrer Schulzeit umgeschulten, Linkshändern ergab, dass viele Folgen eine dauerhafte Belastung darstellen. So hat Frau A. S. „bis heute Orientierungsschwierigkeiten mit rechts und links […], Handarbeiten bekomme ich überhaupt nicht hin.“³. Ganz andere Erscheinungen zeigten sich dagegen bei Herrn P.

Er war bis zu seinem 16. Lebensjahr Bettnässer und leidet auch heute noch unter Wortfindungsstörungen, sowie Konzentrationsschwierigkeiten. In Stresssituationen vergisst er leicht seine Gedanken und ermüdet schnell. „Bis heute vergesse ich i-Punkte oder T-Striche, lasse Worte aus, obwohl [sie] in Gedanken aufgeschrieben [wurden]“. Es zeigen sich bei ihm auch Neigungen zur Rechts- Links-Unsicherheit, zum Zittern der Hände und zur Zurückgezogenheit, denn er „bleibt am liebsten für sich allein“.

Was die Geschehnisse im Gehirn angeht, so kann man sagen, dass „bei Linkshändern, die auf die rechte Hand umgeschult worden sind, […] auch das Gehirn umgeschult [wurde], zumindest teilweise.“. Zu dieser Erkenntnis kam der Leiter des Labors für Funktionelle Hirntomografie am Universitätsklinikum Freiburg.

Eine seiner durchgeführten Studien ergab, dass das Gehirn trotzdem nicht vollständig umorganisiert war, denn „die Planung und Kontrolle der Bewegungen fand nämlich nach wie vor in der rechten Hirnhälfte statt“. Die Hirnaktivität wird also nur teilweise in die linke Gehirnhälfte verlagert.

¹ Sattler, Johanna Barbara: „Der umgeschulte Linkshänder oder der Knoten im Gehirn“ / Auer Verlag GmbH Donauwörth / 2010 / S. 50
² Ebenda / S. 72
³ Siehe Anhang /Auszug 13. Interview mit Frau S.
Siehe Anhang /Auszug 11. Interview mit Herrn P.
Stefan Klöppel, Universitätsklinikum Freiburg, Interview bei Franziska Badenschier 25.02.2013 https://www.dasgehirn.info/handeln/motorik/erzwungene-rechtshaendigkeit-zeigt-sich-im- gehirn-6979 14.07.16