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6.4.2 Sekundärfolgen – (10/2016)

Die Sekundärfolgen müssen nicht in jedem Fall auftreten, ergeben sich aber nicht nur aus den Primärfolgen. Auch andere Einflüsse, wie das soziale Umfeld können eine Rolle spielen. Viele der davon betroffenen umgeschulten Linkshänder, ziehen sich dann verstärkt zurück, fühlen sich verunsichert und leiden unter Minderwertigkeitskomplexen. Das führt zu einer erhöhten Bereitschaft, Leistung zu erzielen und so zu verhindern, dass sie versagen. Auf diese Art gewöhnen sich Umgeschulte die verschiedensten Verhaltensweisen an.

Belastungen verarbeiten sie sehr unterschiedlich, manche Vorgänge werden bewusst wahrgenommen, andere weniger. So ist es auch nicht verwunderlich, dass in psychotherapeutischen Praxen ein auffällig hoher Teil an umgeschulten Linkshändern zu finden ist, die Hilfe bei ihren Problemen suchen. In den meisten Fällen ahnen sie keinen Zusammenhang mit einer Umschulung.

Auch viele behandelnde Therapeuten erkennen diese Probleme nicht als Ursachen, sondern nur als Nebenwirkungen. Das führt dann häufig zu Fehldiagnosen.¹
Lidflattern, Schweißausbrüche, Muskelzuckungen, Kopfschmerzen, Tics und Schlafstörungen sind solche körperlichen Funktionsstörungen. Auch Bettnässen und Nägelkauen gehören dazu.²

Schwerwiegender sind hingegen Störungen im Persönlichkeitsbild, bis hin zu Problemen emotionalen Ursprungs. Manche Menschen entwickeln auch eine Trotzhaltung, die Neigung zum Widerspruch und häufiges Imponieren und Provozieren. Ein sprunghaftes Denken ist ebenfalls ein solches Merkmal.

Unbewusst werden manchmal ganze Gedankengänge übersprungen. Gerade beim Denken, wenn ein anderer spricht, verpassen sie den Anschluss. Dann kann kein richtiger Austausch mehr stattfinden.
Weil das Schreiben einem großen Teil der Umgeschulten schwer fällt und oft unordentlich ist, vermeiden sie es, so gut es geht, zu schreiben.

Besonders bei Kindern kann das noch weiterreichende Folgen haben. Denn wenn sie sich weigern zu schreiben, können sie auch „als lernbehindert eingestuft werden“³. Gezielte Förderung und Nachhilfe werden den Kindern dann auch nicht viel helfen, denn die rechte Hand wird immer nicht dominant bleiben und überlastet werden, solange die eigentliche Ursache, die Umschulung, nicht bekannt ist.

Auch der Verdacht auf ADHS bei Kindern kann von den Folgen einer Umschulung her kommen. Manche Kinder können sogar richtig Angst vor der Schule bekommen, der Schulalltag stresst und überfordert sie. Das führt zu einer „permanenten psychischen Verunsicherung“, denn die Kinder sind unselbständig und selbst in der Pubertät fällt es vielen schwer, sich von den Eltern zu lösen.

¹ Sattler, Johanna Barbara: „Der umgeschulte Linkshänder oder der Knoten im Gehirn“ / Auer Verlag GmbH Donauwörth / 2010 / S. 82
² Vgl. ebenda / S. 85 ff
³ Bremer, Judith: „Einfach links schreiben: praktischer Ratgeber für Eltern, Lehrer und Erzieher“/VAK Verlags GmbH Kirchzarten bei Freiburg/ 2010/ S. 39
Ebenda / S. 41

Was wiederum zur Folge hat, dass derjenige als Außenseiter dasteht, Schwierigkeiten hat, neue Kontakte zu knüpfen und so auch von Mitschülern öfters gemobbt wird.
Umgeschulte leben von der rechten Gehirnhälfte eher abgeschirmt, haben also mangelhaften Zugriff zu Gedanken und Gefühlen, was Depressionen auslösen und schon im Jugendalter Drogen- und Alkoholkonsum verursachen kann.

Andere sind eher rechthaberisch und stur oder begegnen Menschen mit Misstrauen. Für viele ist es auch typisch, sich „unter Wert zu verkaufen“, indem sie untertreiben. Lieber glauben und akzeptieren sie das, als zu versagen. Das spiegelt die Unsicherheit und Angst, etwas falsch zu machen, wieder.

Viele der umgeschulten Linkshänder fühlen sich eingeengt, unzufrieden und nicht einig mit sich selbst. Es fühlt sich wie eine Zweiteilung an, weshalb viele Umgeschulte hier den Spruch „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust“¹ passend finden. Gerade diejenigen, die nicht wissen, dass all das auf eine Umschulung zurückzuführen ist, wollen dem dann einfach nur entfliehen, wissen aber nicht wie.

Das kann die Folgen nur noch mehr verschlimmern. Schließlich entfremden sich die Menschen selbst, indem sie sich nur noch andere Menschen zum Vorbild ihres Handelns nehmen. Wie Frau J. S., die 1967 eingeschult wurde und seitdem mit rechts schreiben musste. „Alle sahen mich als Rechtshänderin. Ich habe alles mit rechts gemacht, also war ich für meine Umwelt eine Rechtshänderin.“²

So etwas tragen die Menschen dann permanent mit sich herum, Traum und Wirklichkeit können ineinander übergehen. Die Personen ziehen sich immer mehr aus der Realität zurück und flüchten sich in den Traumzustand. Doch eine Erlösung aus all den Problemen kann erst stattfinden, wenn man sich der Umschulung bewusst ist und die Situation akzeptiert.

Viele reagieren dann mit Wut und Unverständnis gegenüber dem Verursacher und sind geschockt, wenn sie herausfinden, dass sie umgeschult wurden. Weiterhin sollten sie bereit sein, über die Ergreifung einer Rückschulung zu entscheiden.

¹ Goethe, J.W.; Faust
² Siehe Anhang /Auszug 8. Interview mit Frau J.