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3.3 Die Vererbung der Linkshändigkeit – (10/2014)

Seit Jahrzehnten forscht die Wissenschaft über die Entstehung der Händigkeit. Folglich gibt es zahlreiche Theorien, welche sich mit diesem Thema beschäftigen. Neurophysiologen sind heute weitgehend der Auffassung, dass die gesamte Lateralitätsstruktur genetisch festgelegt sei. Somit stehe von Anfang an fest, welche Gehirnhälfte dominant sei und die gesamte Steuerung in den beiden Hirnhälften übernehme. Im Jahr 2007 entdeckten britische Wissenschaftler das Gen LRRTM1¹, welches laut von Rolbeck mitverantwortlich für die Ausprägung der Hirnhemisphärendominanz sei.

¹ leucine – rich repeat transmembrane neuronal 1

Diese gibt wiederum Auskunft darüber, ob ein Mensch Rechts- oder Linkshänder ist. Das Gen wurde von den Forschern während der Suche nach einem Zusammenhang zwischen Legasthenie² und Linkshändigkeit gefunden. Es liegt auf einem haploiden³ Chromosom und sei der erste vermeintliche genetische Einfluss auf die menschliche Händigkeit sowie die Gehirnasymmetrie, so der Wissenschaftler C. Francks von der Universität Oxford, und habe somit erhebliche Auswirkungen auf die Ausbildung der Hemisphärenspezialisierung, d.h. welche Aufgaben von einer Gehirnhälfte übernommen werden.

² Lese-Rechtschreibschwäche, häufig bei umgeschulten Linkshändern
³
halb, In Geschlechtszellen des Menschen einzeln vorkommend

Allerdings müsse noch herausgefunden werden, welche genaue Rolle das Gen in der Gehirnentwicklung spielt. /5/, /14/, /15/ Trotz der genannten Fakten ist festzustellen, dass allein das Gen LRRTM1 nicht ausreicht, um über die Händigkeit eines Menschen zu entscheiden. Eine Vielzahl von Umweltfaktoren und -einflüssen spielt dabei ebenfalls eine große Rolle.

Von Rolbeck stellt fest, dass die Händigkeit ein Produkt des Lernprozesses ist, welcher zum einen das Hineinwachsen in eine Rechtshandgesellschaft bedeutet und zum anderen in der Behauptung in einer für Rechtshänder physikalisch optimierten Umwelt, z.B. durch Alltagsgegenstände, Werkzeuge und Maschinen besteht. Ein wichtiger Aspekt ist laut von Rolbeck die Vorbildfunktion der Eltern in der frühen Kindheit.

Wurden diese im Laufe ihres Lebens nicht mit Linkshändigkeit konfrontiert, werden sie ihr Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtshändig erziehen. Ebenfalls bestimmen Eindrücke in Kindergarten und Schule darüber, ob die genetische Veranlagung ausgelebt werden kann oder gehemmt wird. Die eigentliche Linkshändigkeit wird oft nicht erkannt, da sich Kinder unbewusst die Rechtshändigkeit von Vorbildern wie Lehrern oder Erziehern antrainieren.

Durch spezielle Stoffwechselvorgänge im Gehirn, die durch das Unterdrücken der Linkshändigkeit ausgelöst werden, wird die genetische Veranlagung stillgelegt, meint von Rolbeck. Diese Blockierung der Genanteile wird Methylierung genannt. Die Erbanlagen werden in ihrer Funktion gebremst oder gar ausgeschaltet, d.h. die Linkshändigkeit kann in ihrer Ausübung zum Erliegen kommen.

Dabei gehen die genetischen Anlagen nicht verloren, deren Blockierung kann jedoch weiter vererbt werden. Somit kann es passieren, dass über mehrere Generationen die Linkshändigkeit „übergangen“ wird, sie ist zwar vorhanden, wird aber nicht ausgelebt. Des Weiteren bewirken Spiegelneuronen¹ dass ein Kind Verhaltensmuster und Bewegungen aus seiner unmittelbaren Umwelt aufnimmt und meist unbewusst und spontan im Gehirn abspeichert. Es wird wird somit zu einem Pseudorechtshänder².

¹ „die Fähigkeit des Gehirns, das Verhalten des Gegenübers direkt übernehmen zu können“ (/5/ S.28)
² andere Bezeichnung für umgeschulter Linkshänder

Wie der Psychiater und Arzt Joachim Bauer beschreibt, ist das Phänomen der Spiegelneuronen unter anderem gut bei Säuglingen zu beobachten, die schon kurz nach der Geburt dazu fähig sind, Gesichtsausdrücke zu imitieren. Dadurch, dass Spiegelneuronen den Effekt vermitteln, Tätigkeiten besser ausführen zu können, wenn diese beobachtet werden, wechseln Kinder schnell auf die rechte Hand, da dieser Anreiz durch das Umfeld gegeben wird.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Auslebung der Linkshändigkeit, trotz gegebener genetischer Grundbedingungen, mehr von äußeren Umständen abhängig ist. Im Frühkindalter, in dem die Weichen für die jeweilige Händigkeit gestellt werden, sind Bezugspersonen enorm wichtig für die Ausprägung der Gehirnanlagen.

Spiegelneuronen können nicht nur ein Kopieren der Rechtshändigkeit bewirken, sondern auch ein rasches passives „Erlernen“ der  Linkshändigkeit durch das Reproduzieren von Gesehenem, Ertastetem und Erfahrenem ermöglichen. Dazu muss die Linkshändigkeit des Kindes jedoch von den Erwachsenen erkannt und angenommen werden, so von Rolbeck. /5/