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4 Händigkeit – ein gesellschaftspolitisches Problem – (10/2003)

Leider ist dieses Thema auch in unserer heutigen Gesellschaft noch immer aktuell, denn trotz des hochmodernen Zeitalters ist die Linkshändigkeit durch (oft unbewusst verursachte) repressive Prozesse geprägt, die auf falsch verstandene Traditionen, fehlende physiologische Kenntnisse, pädagogisches Fehlverhalten und auf ein noch immer hohes Maß an Vorurteilen zurückzuführen ist.

Mehr als acht Millionen Linkshänder in der Bundesrepublik fühlen sich in unserer Gesellschaft im wahrsten Sinne des Wortes links liegen gelassen.
Aussprüche wie: „…mit dem linken Fuß aufstehen…“ oder „…zwei linke Hände haben…“ sind uns allen wohl durchaus bekannt. Man macht sich über solche Aussagen keine weiteren Gedanken, da sie für uns durch ihre tägliche Benutzung harmlos erscheinen und meist nur ironisch gemeint sind. Doch trotz alledem können sie möglicherweise Auslöser dafür sein, dass auch im jetzigen Zeitalter der technischen Hochentwicklung Linkshänder noch immer schief angesehen oder gar ausgegrenzt werden. Doch die Behauptung, dass es sich bei den Schwierigkeiten, mit denen sich Linkshänder auseinandersetzen müssen, auch um gesellschafts-politische Probleme handelt, wird von vielen Rechtshändern als übertrieben und überbewertet empfunden. Dies fanden wir auch bei der Auswertung unserer Umfrage (Anhang Umfrageergebnisse).

Auch wenn man die Geschichte zurückverfolgt lässt sich erkennen, dass linkshändige Men- schen scheinbar nie sehr angesehen waren. Denn das Wort „links“, so wie wir es heute kennen stammt ursprünglich von dem anglosächsischen Wort „lyft“ ab, welches damals für schwach, wertlos und abgewandelt stand. Später wurde es in das englische Wort für links -„left“- gewandelt, welches wir dann auf deutsch in unsere Muttersprache übernahmen. Sogar in den alten hebräischen Schriften wurde statt dem Wort „Linkshänder“ die Bezeichnung „auf der linken Hand ungeschickt“ verwendet. Aber die wahrscheinlich extremste negative und abwertende Haltung gegenüber Linkshändern kann man schon in der Schöpfungsgeschichte der nordamerikanischen Irokesenstämme. Nun ein kurzer Auszug der umgewandelten Fassung von Werner Müllers „Die Religion der Waldlandindianer Nordamerikas“: „[…] Da nahm der Mann zwei Pfeile aus seinem Köcher und legte sie kreuzweise über den Körper des Mädchens. Als das Mädchen erwachte, fand es, dass es Zwillingen das Leben schenken sollte.

Die Zwillinge stritten schon vor ihrer Geburt miteinander. Als die Zeit kam, da sie das Licht der Welt erblicken sollten, wurde der eine Zwilling, der „Der Rechtshändige“ genannt wurde, ganz normal geboren. Der Zweite aber, der „Der Linkshändige“ genannt wurde, war so stur und verursachte seiner Mutter solche Schmerzen, dass sie bei seiner Geburt starb. […] Die Zwillinge besaßen schöpferische Kräfte. Der Rechtshändige erschuf die schönen hohen Bäume. Der Linkshändige störte das Wachstum der Bäume und machte, dass sie verkümmerten. Einige Schöpfungen des Rechtshänders bedeckte er mit Dornen und giftigen Früchten. Der Rechtshändige erschuf die Hirsche und Rehe. Der Linkshändige erschuf den Puma, der die Hirsche tötete. […] Der Rechtshändige erschuf noch mehr schöne Dinge, doch wie immer erschuf der Linkshändige etwas das dies zerstörte. […] Sie forderten sich gegenseitig zum Kampf auf. Am Ende siegte der rechtshändige Zwilling, der linkshändige dagegen wurde für immer von der Erde verbannt. […]“

Diese historischen Belege könnten mit ausschlaggebend dafür sein, dass „links“ oft mit etwas Schlechtem, wie „linkisch sein“ oder Ähnlichem assoziiert wird. „Rechts“ hingegen steht meist für etwas Gutes, wie „Recht haben“, „richtig liegen“ oder „sein Herz am rechten Platz tragen“.

Auch im Aberglauben gibt es viele Verbindungen zur Linksseitigkeit, die sowohl positiv als auch negativ zu verstehen sind, wie beispielsweise „Läuft einem eine schwarze Katze von links nach rechts über den Weg, so wird es ein Unglück geben.“, „Wer am Morgen mit dem linken Bein zuerst aufsteht, dem gelingt den ganzen Tag nichts.“ oder aber „Siehst du Schafe zur Linken, wird das Glück dir winken.“ Doch nicht nur durch Assoziationen und Aberglaube, sondern vor allem durch Statistiken lassen sich immer wieder neue Vorurteile ergründen. Wussten sie zum Beispiel, dass Linkshänder scheinbar seltener heiraten wie Rechtshänder oder, dass statistisch gesehen Blonde doppelt so häufig linkshändig sind wie dunkel- oder rothaarige und das die meisten Linkshänder Vegetarier sind und am häufigsten in den Monaten März bis Juli geboren wurden.

Zwar ist die Abneigung gegenüber Linkshändern heutzutage nicht mehr gar so groß wie in der Vergangenheit, doch die frühere Unwissenheit und Unerfahrenheit sind noch heute anzutreffen.

Vor allem in den älteren Generationen, welche mit den harten Umschulungsmaßnahmen aufwuchsen zeichnet sich noch immer eine Antipathie gegenüber Linkshändern ab. Durch derartige Umschulungen wurde der offizielle Linkshänderanteil immer sehr gering gehalten, so dass viele Menschen auch heute noch die Zahl der Linkshänder für sehr gering einschätzen, um die 2-5 %.

Das tatsächliche Verhältnis zwischen Rechts- und Linkshändern liegt jedoch annähernd genau bei 1:1. Nach der Auffassung des Tschechen M. Sovak* hat sich das Verhältnis von Links- und Rechtshändern durch die rechtshändig orientierte Zivilisation nur scheinbar „nach rechts“ verschoben.

Sicherlich hat sich das Engagement für linkshändige Menschen schon gebessert, indem man sie in ihrer Entwicklung nicht mehr beeinflussen will und sie durch spezielle Geräte unterstützt, jedoch ist die gesellschaftlich „Unterdrückung“ noch immer nicht endgültig beseitigt. Ihnen muss noch mehr Toleranz, Akzeptanz und Gleichberechtigung entgegen gebracht werden. Deshalb sollte jeder von uns dazu beitragen, dass Menschen entsprechend ihrer Händigkeit frei handeln und sich frei entfalten können