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3.1 Geschichte der Händigkeit – (11/2005)

Die Linkshändigkeit ist so alt wie die Menschheit selbst und nicht, wie manche glauben, eine Modeerscheinung unserer Kultur. Auch wenn wir heute ganz normal mit dem Bewusstsein der Linkshändigkeit leben und umgehen, so hat sie doch kaum noch eine tiefgründige religiöse Bedeutung.

Schon vor rund dreitausend Jahren wurde bereits in der Bibel, genauer im „Buch der Richter“ (10. /11. Jh. v. Chr.), die Linkshändigkeit an zwei Stellen erwähnt. In beiden Fällen wird genauer auf den besonderen Gebrauch der linken Hand im Umgang mit Waffen eingegangen. Somit wird deutlich, dass die Linkshändigkeit auch schon im Altertum eine Seltenheit war, sonst hätte man diese Stellen nicht so besonders hervorgehoben.¹⁶ Bei den Israeliten galt die rechte Hand als stärkere und aktivere, dies geht aus weiteren Bibelstellen hervor. Sie suchten den Schutz an „Gottes rechter Hand“, die segensreiche rechte Hand galt so als wertvoller. Man kann sagen, dass die Rechtshändigkeit bereits damals ein Erziehungsziel war.

Aus dem Alten Testament ist überliefert, dass es einen hebräischen Begriff für Linkshändigkeit gibt, der sich durch eine „ungeschickte Rechte“ definiert. Dieser Begriff war aber vielmehr ein Ausdruck, wie wir ihn ähnlich noch heute kennen z.B. bei „linkisch“ im Sinne von ungeschickt. Das bedeutet aber noch keine Abwertung im biblischen Zusammenhang, im Gegenteil, oft wird das Geschick der Linkshänder betont. Im Alten Testament wurde die Linkshändigkeit also eher als eine Eigenschaft bezeichnet, womit aber nicht sofort eine Herabsetzung assoziiert wurde. Schon die Tatsache, dass mit der linken Hand geweiht werden durfte, beweist, dass keine Abwertung oder Ächtung der Seite vorliegt. Die Linkshändigkeit einer Person war dennoch als Eigenart zu nennen, wie z.B. große Stärke und Mut.¹⁷

Bei den Griechen galt die linke Seite und damit die linke Hand als Seite des Unglücks. Dies ist mit der Orientierung bei der Auguration, d.h. der Lehre von den göttlichen Zeichen, zu erklären. Die Griechen wendeten sich beim Gebet nach Norden, zum Olymp. Folglich liegt auf der linken Seite Westen, die Unterwelt von Hades. Auch bei dem sogenannten Auspizium, der Zukunftsvoraussage, z.B. durch die Flugrichtung der Vögel oder die Eingeweideschau, bedeutete links Negatives, Unheil und Unglück. Trotzdem war man nicht auf eine Händigkeit fixiert, im Gegenteil, Gelehrte wie Platon und Aristoteles bevorzugten die Beidhändigkeit.

¹⁶ Vgl. Sattler, Johanna Barbara: Links und Rechts in der Wahrnehmung des Menschen, Zur Geschichte der Linkshändigkeit, Donauwörth 2000, S. 228
¹⁷Vgl. ebenda, S.42ff.

Zur Blütezeit der griechischen Kultur (ca. 700 – 300 v. Chr.) verfasste Homer (8. Jh. v. Chr.), seine Ilias, in der er die Beidhändigkeit eines Helden hervorhob: „… allein zwei Lanzen zugleich warf Asteropaios, der Held, der rechts mit jeglicher Hand war.“ ¹⁸ Durch den Ausdruck „rechts mit jeglicher Hand“ gebraucht Homer „rechts“ im Sinne von geschickt.

Auch Platon (427 v. Chr. – 348/347 v. Chr.) berichtete über die Fähigkeiten der Beidhändigkeit, indem er der Auffassung war, dass der vermehrte Gebrauch der rechten Hand auf die Erziehung und den Einfluss der Mutter oder des Kindermädchens zurückzuführen sei: „Was aber den Gebrauch der Hände anlangt, so ist es dem Unverstand der Wärterinnen und Mütter zuzuschreiben, dass wir da alle gleichsam hinkende Geschöpfe geworden sind. Denn ungeachtet der natürlichen Gleichwertigkeit dieser Gliedmaßen auf beiden Seiten haben wir sie doch durch gewohnheitsmäßig falschen Gebrauch verschieden gemacht.“ ¹⁹ Platon plädierte also für einen vermehrten Gebrauch der Beidhändigkeit in der Erziehung, um die Geschicklichkeit zu steigern.

Dies änderte sich schon bei Aristoteles (384 v. Chr. bis 322 v. Chr.), er sah die rechte Hand als die stärkere und somit überlegene an. „Die rechte Hand ist z. B. von Natur aus stärker, und doch kann es Menschen geben, die beide Hände gleich gut gebrauchen.“ ²⁰ Zur Zeit von Aristoteles und Platon gab es noch keinen griechischen Ausdruck für „linkshändig“.

¹⁸ Sattler, Johanna Barbara: Links und Rechts in der Wahrnehmung des Menschen, Zur Geschichte der Linkshändigkeit, Donauwörth 2000, S. 229; Homer: Ilias XXI, S. 163
¹⁹ ebenda, S. 229; Platon: Gesetze, VII Buch, S. 795
²⁰ ebenda, S. 229; Aristoteles: Nikomachische Ethik, V, 10, 1134 b, 31-34

Einige Zeit später, bei den Römern, hielt man die linke Seite für die Glücksbringende. Eine Erklärung liegt wieder in der Auguration, denn wie auch die Griechen hatten die Römer eine bevorzugte Gebetsrichtung. In diesem Fall orientierte man sich nach Osten, nach Jerusalem, zum Sonnenaufgang. Diese Vorstellung ist nicht mit dem Christentum entstanden. Sie wurde von den Schriftstellern des 2. Jahrhunderts (Apologeten), die das Christentum gegen die Vorwürfe der nicht christlichen Religionen verteidigten, mit Zitaten aus Altem und Neuem Testament so begründet, dass alles aus Osten kommende Christus genützt. Vertreter dieser Auffassung waren Justinus der Märtyrer (um 100 n. Chr.), Tatian (um 120 n. Chr.), Athenagoras (um 150 n. Chr.) und andere Kirchenväter.

Der tiefe, negative Bruch bei der Bewertung der linken Hand in der abendländischen Kultur wurde erst im 3. und 4. Jahrhundert nach Christus vollzogen. Der griechische Pythagoreismus und spätere Manichäismus ist eine vom Perser Mani verkündete Religion mit dualistisch-moralischer Weltauffassung, die in diesem Zeitraum entstand. Der Manichäismus fand im gesamten Mittelmeerraum Ausbreitung und erreichte seine Blütezeit im 4. Jahrhundert. Im Osten erlosch der Manichäismus im 14. Jahrhundert in China, wo er seit dem 7. Jahrhundert zu neuer Blüte gelangt war.

Mittelpunkt der Lehre ist ein dualistisches Konzept von Licht und Finsternis sowie Geist und Materie als den von Anbeginn an unversöhnlichen guten und bösen Prinzipien. In der Welt und im Menschen sind diese schuldhaft vermischt. Erlösung, d.h. Heimkehr der im Leib gefangenen Seele ins Reich des Lichts im Moment des Todes, setzt diese Erkenntnis und ein völlig asketisches Leben, vor allem die völlige geschlechtliche Enthaltsamkeit, voraus.²¹ Mit dem strikten Dualismus von Gut und Böse konnte man die rechte und linke Seite nur zu gut einpassen.

Dieses dualistische Weltbild konkurrierte mit dem christlichen Glauben an den dreieinigen Gott und wurde von den Christen hart bekämpft. Mit: „Die Christen lehrten, der Westen sei die natürliche Heimat der Dämonen“ aus dem Bruce-Papyrus, einem gnostischen Manuskript des 2. Jh., wurde beschrieben, wie Jesus seinen Jüngern die magischen Worte enthüllte, mit denen die bösen Archoten gezwungen wurden, „nach Westen zu fliehen, zur linken Hand“ ²². Anhand dieses Manuskripts kann man nachweisen, dass trotz der Ablehnung dieses dualistischen Weltbildes eine strikte Trennung nicht möglich war, und die Abwertung der linken Seite und somit der linken Hand Einzug hielt.

Der bis ins Mittelalter immer wieder aufflackernde Manichäismus wurde vor allem von ungebildeten Laienbrüdern angenommen. Trotz seiner Bekämpfung fand er auch später Einfluss in Gedankengut und Schriften der Kirchenväter, so dass ethische Seitenbezogenheit noch Jahrhunderte anhielt. Künstler wurden dazu animiert, in Kreuzigungsabbildern, aber auch im jüngsten Gericht, die wichtigsten Personen und Zeichen wie Maria, den Hauptmann Longinus, die Sonne oder das Wasser, um Christi immer auf der rechten Seite anzuordnen. Zweitrangige Personen und Symbole, wie Johannes, den Soldat Stephanos, den Mond oder die Erde, wurden auf der linken Seite dargestellt.²³

Weitere aphoristische Beispiele findet man in Zeremonien, wo die Anzahl der Stufen am Altar so abgezählt wurden, dass man mit dem rechten Fuß antrat und mit rechts ankam. Die Abwertung der linken Seite und linken Hand fand vor allem großen Einfluss im mittelalterlichen Aberglauben. So sollen sich Hexen mit links bekreuzigt haben, was ein Beweis für Ketzerei war. Auch als Jan Hus im Jahre 1415 in Konstanz wegen Ketzerei verbrannt wurde, wurde er zuerst so an den Pfahl gebunden, dass er nach Osten blickte. Aber der Irrtum wurde beizeiten bemerkt und Hus wurde so gedreht, dass sein Blick nach Westen gerichtet war, also in die Richtung, die einem Ketzer zustand.²⁴

Nicht nur die Religion sondern auch das gesamte Alltagsleben wurde an das der Rechtshänder angepasst. Diesen Vorgang kann man anhand des Verlaufs der verschiedenen Schriften feststellen. In frühen Schriften, wie z.B. den frühesten griechischen und semitischen Schriften, fällt eine häufige Linksläufigkeit auf, d.h. die Buchstaben werden von rechts nach links gelesen und geschrieben. Sie ist besonders für Linkshänder geeignet. Dennoch kann man eine Differenzierung einiger Schriften bezüglich ihrer Richtung, wie z.B. frühe Runen, die Hieroglyphenschrift der Hethiter oder ein dorischer Dialekt auf Kreta, feststellen.²⁵

²¹ Vgl. Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Der Brockhaus multimedial 2004 premium
²² Sattler, Johanna Barbara: a.a.O., S. 230
²³ Vgl. Sattler, Johanna Barbara: a.a.O., S. 42ff.
²⁴ Vgl. Walker, Barbara G.: Das geheime Wissen der Frau, München 1999, S. 619
²⁵ Vgl. Sattler, Johanna Barbara: a.a.O., S. 236

Um 500 v. Chr. verlief die Schrift auf Kreta in der so genannten „ordo bustrophedicus“, von rechts nach links. Diese Richtung änderte sich im Laufe der Jahrhunderte aber immer mehr in eine Rechtsläufigkeit, wie sie heute überall in Europa üblich ist. Ein weiterer entscheidender Vorteil für Rechtshänder ist, neben der Rechtsläufigkeit, die Art der wahrnehmungspsychologischen Auffassung (Rechtshänder schauen aufgrund ihrer Hirndominanz von links nach rechts und Linkshänder genau umgekehrt).

Linkshänder wurden so nicht nur in religiöser Hinsicht als „zweite Klasse“ abgestempelt, sondern mussten sich auch an Schrift und Alltag der Rechtshänder anpassen. Weitere prägende Tiefpunkte für die Unterdrückung der Linkshänder waren die Allgemeine Schulpflicht, die Industrialisierung und das Militär. Obwohl heute die Einführung der Allgemeinen Schulpflicht als Meilenstein in unserer Geschichte etabliert ist, bedeutete sie für viele Linkshänder gravierende Einschnitte im Leben durch die in der Schule vollzogene Umschulung und derer Folgen, wie ich in Kapitel 3.3.1 erläutern möchte. Ebenso ausgrenzend war die Standardisierung der Industriellen Revolution, da alle Maschinen ausschließlich für Rechtshänder konzipiert wurden.

Wie es, trotz der vielen Einschränkungen, Unterdrückungen und der schon teilweise vorhandenen Abfindung der Linkshänder mit ihrer Situation, dennoch zu einer vermehrten Akzeptanz der Linkshänder kommen konnte, zeigt die Geschichte. Wie oben erwähnt, hatte bereits Platon die Beidhändigkeit als Erziehungsziel genannt. Diese Beidhänderbewegung entstand durch die Idealisierung der Symmetrie, obwohl weder die Natur noch der Mensch wirklich symmetrisch sind. Abgesehen von der Architektur ist auch die Kunst nicht symmetrisch. Diese Überwindung der Idealisierung der Symmetrie dauerte Jahrhunderte, hatte aber stattdessen eine Idealisierung der Rechtshänder zur Folge. Erst eine erneute Bestrebung nach der Beidhändigkeit Anfang des 20. Jahrhunderts führte paradoxer Weise auch zu einer Chance der Linkshänder.

Als später dann die Erkenntnis aufkam, dass die Beidhändigkeit kein Ziel der Evolution war, fand zum ersten Mal Toleranz gegenüber linkshändigen Kindern statt. Kinder mit Folgen einer Umschulung oder mit wechselndem Handgebrauch bekamen nun therapeutische Unterstützung.²⁶

Trotz der enormen Fortschritte in den letzten Jahren und Jahrzehnten können sich Linkshänder noch immer nicht als vollständig integriert betrachten. Zu groß ist dabei die Unwissenheit einer Mehrheit der Bevölkerung. Den meisten Menschen fehlen physiologische Kenntnisse, oder sie legen ein pädagogisches Fehlverhalten an den Tag. Oft ist es aber auch ein hohes Maß an Vorurteilen, an denen das Verstehen und so das wirkliche Akzeptieren scheitern.

²⁶ Vgl. Sattler, Johanna Barbara: Der Umgeschulte Linkshänder oder der Knoten im Gehirn, Donauwörth 2002, S. 247-267, S. 342, S. 350-356

Wie überall in der Biologie hält sich auch die Händigkeit im Gleichgewicht, so dass die reale Quote von Links- und Rechtshändern fast 1:1 beträgt. Dass es in der Bundesrepublik trotzdem nur rund acht Millionen Linkshänder gibt, liegt an unserer rechtshändig orientierten Umwelt. Der Markt zeigt es, alle neuen Produkte werden anfangs nur für Rechtshänder ergonomisch optimiert, erst eine genügend hohe Nachfrage des Artikels führt auch zur Optimierung für Linkshänder.²⁷

Trotz der Probleme, die Linkshänder in ihrer rechtshändig orientierten Umwelt haben, gibt es auch viele erfolgreiche und berühmte linkshändige Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Johannes B. Kerner oder Vincent van Gogh.

Linkshänder werden von der Gesellschaft geduldet, aber nicht vollständig akzeptiert, so dass die Koexistenz von Rechts- und Linkshändern nichts Ungewöhnliches mehr ist.

²⁷ Vgl. www.linkshaender.de/s_000_knowledge.html?art=128; 22.08.2005