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5.3. Die Situation von Linkshändern in der Vorwendezeit – (10/2016)

Um einen kleinen Einblick in den Alltag von Linkshändern in der Zeit vor der politischen Wende und insbesondere in einem Zeitraum von circa 70 Jahren zu bekommen, mussten viele Einzelinterviews geführt werden, da es dazu weder Literatur noch rechercherelevante Informationen im Internet gibt. Somit wurden Personen benötigt, die ab 1946, in den darauffolgenden Jahren, beziehungsweise 1989 eingeschult wurden, um somit für jedes Jahrzehnt einen Befragten zu haben.

Des Weiteren musste ein einheitlicher Befragungsschlüssel erstellt werden, der die Angaben innerhalb der Befragten vergleichbar machte. Hierbei dienten uns die Herkunft, also ob die Betroffenen in Ost- oder Westdeutschland zur Schule gingen, ob und wie sie umgeschult wurden, wie diese zur Umschulung stehen, ob sie Vorurteilen ausgesetzt waren, sowie wie die Akzeptanz der Linkshändigkeit früher wahrgenommen und im Vergleich zu heute von den Betroffenen wahrgenommen wird.

Nachfolgende Informationen beziehen sich auf Einzelfälle und sind selbstverständlich nicht deutschlandweit oder einheitlich verallgemeinerbar.
„Früher gab es keine Linkshändigkeit.“ Das ist einer der am meisten geäußerten Sätze, den wir bei unseren Interviews immer wieder gehört haben. Linkshändigkeit war früher sehr tabuisiert. Es war abnormal, gehörte sich nicht und wurde gemaßregelt. Bis in die 1980er bemühten sich Pädagogen, Linkshänder umzuschulen.

Besonders in den 1950er und 1960er Jahren geschah dies oft gewaltsam. Ein Betroffener, der 1946/47 eingeschult wurde, wurde noch umgeschult. Er stammte aus einer Familie, in der seine Mutter und seine Schwester beide Linkshänder waren, und somit erfuhr er mehr Rückhalt und Verständnis in Bezug auf seine Händigkeit, allerdings schrieb seine Schwester mit rechts und benötigte die linke Hand nur für die Tätigkeiten, die mehr Kraft verlangten.

Als Köchin nahm sie den Kochlöffel oder das Messer also stets in die linke Hand. Beide berichten von keinen Vorurteilen in den späteren 1940ern. Der Bruder war, anders als seine Schwester, jedoch erheblich mehr auf seine linke Hand angewiesen. Als er sich einmal am linken Arm verbrannte und daraufhin eine feste Manschette benötigte, merkte er, wie er plötzlich so eingeschränkt war, dass er nur noch die rechte Seite benutzen konnte.

Trotz der Umschulung und der damit verbundenen Sensibilisierung für Feinmotorik in der rechten Hand, konnte er sich mit der Situation nicht arrangieren und so brach seine Manschette beim Versuch den Löffel in die gewohnte, linke Hand, zu nehmen.¹

Doch nicht in allen Familien war die Linkshändigkeit so akzeptiert wie in Frau L. ‘s Familie. Bei Frau M., einer Linkshänderin, die zu ähnlicher Zeit umgeschult wurde und auch in der DDR aufwuchs, versuchte deren Mutter, ihr immer alles in die rechte Hand zu geben. Auch in ihrer Schulzeit wurde ihre Linkshändigkeit nicht zugelassen und somit in der ersten Klasse mit der Umschulung begonnen.

„Alle anderen fingen mit Schreiben und Lesen an, und ich musste erst schreiben lernen.“ äußerste sie im Betroffeninterview nachdenklich.² Gleichwohl hatte sie nie eine schöne Handschrift und feine Arbeiten, wie das Nähen, Stricken oder das Durchschneiden eines Fadens mit rechts, könnte sie sich niemals vorstellen. In ihrem weiteren beruflichen Werdegang stieß sie zwar nie auf Vorurteile, doch als sie in den 1950er Jahren in einer Schneiderei anfing, meinte der damalige Schneidermeister: “Ich hätte dich nicht eingestellt, wenn ich der Chef wäre. So, wie du das machst, sieht das nicht schön aus.“³

Eine Anspielung auf das Halten der Schere in der linken Hand. Damals gab es noch keine Linkshänderprodukte, die heute lebenden Linkshändern Alltag und Berufsleben erleichtern, man musste lernen auch ohne diese Produkte auszukommen. Heute benutzt Frau M. beide Hände, da in beiden verschiedene Arbeiten in unterschiedlichen Händen leichter fallen. Abschließend bemerkt sie, dass trotz und wahrscheinlich dank ihrer Umschulung ihre Schrift mit links erheblich schöner aussieht, als mit rechts.

Herr B., welcher in Chemnitz aufwuchs und 1948 eingeschult wurde, spricht deutlicher über die Maßnahmen während seiner Umschulung. In den ersten drei Klassen wurde er auf rechts getrimmt und auch die Rute wurde ihm regelmäßig über die Finger gezogen. Trotz dieser brutalen Umschulmethoden erzielten diese Methoden bei ihm keinen Erfolg.

Interessant wurde es bei der Frage nach den Nachteilen im Alltag seinerseits. Er erinnert sich, dass er 26 Jahre Bezirksmeister im Ringen war. Doch das lag seinen Angaben nach nicht am körperlichen Training, an guter Kondition oder an ausgefeilter Technik. Einzig und allein der Vorteil der Linkshändigkeit ließ ihn einen Überraschungsangriff nach dem anderen vornehmen. Kein Gegner rechnete mit einem Angriff von links.

Bei den meisten Menschen ist die Antizipationsfähigkeit, also die Wahrnehmungsfähigkeit, auf ein rechtshändiges Gegenüber ausgerichtet.

¹ Siehe Anhang /Auszug 1. Interview mit Frau L.
² Siehe Anhang /Auszug 2. Interview mit Frau M.
³ Ebenda
Siehe Anhang /Auszug 3. Interview mit Herrn B.

So hätte Herr B. als Linkshänder in Sportarten, wie Tennis, Boxen und Fechten ebenso einen Vorteil gehabt, jedoch bei Sportarten, welche keine Zweikampfsportarten sind, wie Schwimmen, Billardspielen oder Golfen, keine nennenswerte Oberhand gehabt.¹

Aber nicht nur in der DDR wurde gegen Ende der 1940er Jahre umgeschult, sondern auch in der BRD. So berichtet Frau U., welche in NRW zur Schule ging, dass das Schreiben mit der rechten Hand erzwungen wurde und kein Widerspruch zugelassen wurde. Deshalb würde sie an einer Rückschulung teilnehmen und ist Gegner einer erzwungenen Umschulung. Auch wenn sie nie direkt mit Vorurteilen konfrontiert wurde, sollte man ihrer Meinung nach immer die angeborene Händigkeit ausleben lassen.²

Auch später in den 1960er Jahren wurden in der DDR Linkshänder umgelernt, so berichtet ein Thüringer, der schon seit seiner Kindheit als Linkshänder wahrgenommen wurde, davon, dass er bereits seit dem Kindergarten immer mit rechts schreiben, zeichnen und malen sollte. Seine Linkshändigkeit wurde als „Besonderheit“ wahrgenommen. Am Ende bemerkt der Mann noch, dass er seit vier Jahren wieder mit dem Löffel in der linken Hand isst und seit zwei Jahren wieder mit links schreibt. Er sieht ein, dass er während seiner Schulzeit gelitten hat.³

Man kann also sagen, dass durch das Gesetz, was 1949 in der DDR erlassen wurde und welches die körperliche Züchtigung an Schulen verbot, das Leiden für die Betroffenen nicht komplett abgeschafft wurde. Das physische Leiden wurde zwar unterbunden, doch das psychische Martyrium bestand weiterhin.

Besonders deutlich wird das am Beispiel des ehemaligen Schwagers des oben erwähnten Mannes aus Thüringen. Dieser ging im Eichsfeld 1972 zur Schule und sollte unbedingt mit rechts schreiben lernen. Seine Eltern setzten ihn daraufhin unter massiven Druck und schlugen ihn unter anderem. Auch seine Lehrer übten sehr viel Druck auf ihn aus, sodass er mit Stottern und Bettnässen darauf antwortete. Der Weg führte die Familie zum Psychologen, der nach kurzer Zeit einsah, dass der Junge mit links schreiben sollte und das Problem gelöst sei. Und genau, wie es der Psychologe voraussagte, trat es dann auch ein.

Das sehr fortschrittliche Gesetz der DDR, welches in ähnlicher Form in der BRD erst 1973, also 24 Jahre später, folgt, schloss also nicht jegliche negative Folgen auf die Psyche eines Umlernens für Schüler in der DDR aus.
Vom „schönen Händchen“ wurde auch oft gesprochen. So berichtete uns eine Lehrerin für Pädagogik und Kunst aus dem westlichen Teil Deutschlands, dass 1958 ihre Schulfreundin mit Schlägen auf die Hand umerzogen wurde. Sie sollte nicht das „böse Händchen“ benutzen. Die Linkshändigkeit war damals verpönt. Heute ist sie für die Lehrerin viel akzeptierter.

¹ www.welt.de/wissenschaft/article1698534/Warum-Linkshaender-im-Sport-erfolgreicher- sind.html,(10.08.2016, 16:38 Uhr)
² Siehe Anhang /Auszug 4. Interview mit Frau U.
³ Siehe Anhang /Auszug 5. Interview mit dem Mann aus Thüringen
Ebenda

Es gibt spezielle Linkshänderläden und sie persönlich ist überrascht vom breiten Angebot und sieht die Linkshändigkeit heute als Selbstverständlichkeit an.¹ Deshalb kauft sie auch regelmäßig Linkshänderscheren für den Kunstunterricht ein, denn von 30 Schülern sind ihrer Erfahrung nach durchschnittlich fünf Personen linkshändig. Diese findet sie sogar im Standardbedarf. Sie akzeptiert Linkshänder ausnahmslos und achtet bei dem Erstellen von Sitzplänen darauf, dass sich Links- und Rechtshänder beim Schreiben nicht gegenseitig behindern. Auch im Lehrerkollegium fällt ihr verstärkt auf, dass viele neue Kollegen Linkshänder sind.

Diese Aussagen bekräftigen die anfänglich aufgestellte These, dass Linkshändigkeit früher eher tabuisiert wurde, es somit also „keine Linkshänder“ gab. Auch in den Medien hatte dieses Thema keine Berechtigung und generell wusste man zu wenig darüber.
„Nimm das schöne Händchen“ ist auch für Herrn W. aus Thüringen der Spruch der 1960er Jahre. Nachdem er 1963 eingeschult wurde, hatte er von der ersten bis zur dritten Klasse das Schulfach „Schönschreiben“. Er als Linkshänder entsprach seinen Angaben nach „nicht dem Zeitgeist.“

Genau deshalb wurde er umerzogen und musste mit rechts schreiben. Er bekam in dem Fach regelmäßig schlechte Noten, obwohl er sich jedes Mal anstrengte und sich immer besonders viel Mühe gab. Ein einziges Mal, so entsinnt sich Herr W., teilte ihm seine Lehrerin ein Blatt aus, welches die Note 2 bekam. Herr W. freute sich selbstverständlich sehr, doch dann erlaubte sich die Lehrkraft er zu sagen: “Und wenn du dir ein bisschen mehr Mühe geben würdest, hätte das auch eine eins werden können.“²

Dieser Satz spiegelt das Unverständnis und die Unwissenheit gegenüber Linkshändern in dieser Zeit eindrucksvoll wieder. Trotz damals aktueller Studien, wie die von Milos Sovak in seinem Buch „Pädagogische Probleme zur Lateralität“ veröffentlicht wurden, welches unter anderem auch das Kapitel „Methodik der Rückkehr zum linkshändigen Schreiben bei bereits früher umerzogenen Linkshändern“, wurden diese neuen Untersuchungsergebnisse in der DDR und BRD auch später weder aufmerksam aufgenommen beziehungsweise flächendeckend umgesetzt. So lernte auch Frau J., welche 1967 ein NRW eingeschult wurde, noch um.

Als 4-5-jähriges Mädchen wurde sie durch ihre Eltern zur Rechtshändigkeit gezwungen. Immer wieder wurde sie daran erinnert, Gegenstände in die andere Hand zu nehmen oder durch den Kommentar „das sieht aber komisch aus, wenn du das mit links machst.“ Nach ihren Angaben wurde sie nicht umgeschult, sondern umgezwungen. Als 15-jähriger Teenager beschloss sie dann, sich die Linkshändigkeit selbst beizubringen. Davor ist sie immer nur als Rechtshänder wahrgenommen wurden. Ihre Eltern hießen ihr aufmüpfiges Verhalten zwar nicht gut, aber sie duldeten es. Ohne Anleitung oder Unterstützung von außen, begann sie nun sich alles selbst umzulernen. Schreiben, malen, Besteck benutzen, häkeln, stricken und Gitarre spielen.

Heute fühlt sich Frau J. durch ihre Händigkeit nicht eingeschränkt, sondern im Vorteil.

¹ Siehe Anhang /Auszug 6. Interview mit der Lehrerin
² Siehe Anhang /Auszug 7. Interview mit Herrn W.

Infolge ihrer rechtshändigen Kindheit und ihrer linkshändigen Jugendzeit ist sie heute Beidhänderin und kann ihre Hände beliebig wechseln, falls eine Hand beispielsweise ermüdet. Seitdem sie in ihrem Umfeld auch die Begrüßung mit links durchführen kann, fühlt sie sich mittlerweile 100prozentig akzeptiert. Sie resümiert, dass sie nach „einem lebenslangen Kampf, aber mit fast 55 Jahren endlich das erreicht hat, was sie im Bezug auf ihre Händigkeit erreichen wollte.“¹

Im Vergleich von heute zu früher sieht sie den größten Unterschied darin, dass man heute mehr Linkshänder sieht. Die These bestätigt auch sie. Jedoch sieht sie in Musikschulen immer noch große Vorbehalte in Bezug auf das linkshändige Spielen von Instrumenten. Ihrer Meinung nach wollen das einige Musiklehrer nicht.

In Korrespondenz mit der in Gera- Langenberg ansässigen Musikschule Voigt können wir diese Annahme, jedenfalls für diese Musikschule, eindeutig widerlegen. Linkshändern stehen dort alle Türen offen und man ist stets bereit, alles für die Zufriedenheit von Linkshändern zu tun, versichert uns die Musikschulleiterin Frau Voigt. Auf die Anfrage, ob man derzeit viele linkshändige Musikschüler unterrichte, bekamen wir die Antwort, dass es momentan nur einige wenige sind, sie aber auch zugab, dass sie gerne mehr über das Thema wissen würde.

Auch Herr D. aus dem westlicheren Deutschland, welcher 1974 eingeschult wurde und sich gerade in einer Rückumschulung befindet, findet dass das Thema Linkshändigkeit und insbesondere die Umschulung auch noch heute national, wie international zu wenig thematisiert wird. Seiner Meinung nach fehlen dafür ein Bewusstsein und eine Lobby.²

Umgeschult wurde er unmittelbar vor seiner Einschulung durch seine Großmutter. Trotz keiner rabiaten Umschulung hinterließ diese weniger motorische als psychische Folgen für ihn. Deshalb ist er auch der Überzeugung, dass eine ungewollte Umschulung sehr viel Unheil anrichten kann und jeder seiner Natur gemäß leben sollte.

Auch er ist auf keinerlei Vorurteile gestoßen und fühlt sich heute viel mehr akzeptiert. Im Alltag fühlt sich Herr S. in der Hinsicht eingeschränkt, dass einige Produkte ausschließlich für Rechtshänder ausgelegt sind.
Viele Linkshänder in der DDR klagen auch noch in einem ganz anderen Bereich über Benachteiligung gegenüber Rechtshändern.

In der NVA, der Nationalen Volksarmee, von der ab 1962 auch eine Wehrpflicht ausging, ließ man in vielen Fällen das Schießen mit Links gar nicht zu. Wieder war für die betroffenen Linkshänder Umlernen angesagt. Aber auch links angelegte Waffen mit rechts angebrachten und links zurückkommenden Spanngurten sorgten für Schmerzen bei Linkshändern. Auch beim Durchladen musste man als Linkshänder über die Waffe greifen.³

¹ Siehe Anhang /Auszug 8. Interview mit Frau J.
² Siehe Anhang /Auszug 9. Interview mit Herrn D.
³ www.forum-ddr-grenze.de/t9996f50-Linkshaender-bei-der-Grenztruppe.html, (10.08.2016, 17.06 Uhr)

Insgesamt lässt der Mann jedoch Nachsicht walten. Weiterhin sagt er: “Ich bin mir sicher, dass wenn mehr Leute von möglichen Umschulungsfolgen wüssten, dass dann wesentlich weniger Leute umgeschult worden wären. Aber man wusste es „damals“ einfach nicht besser. Deshalb auch von mir kein Vorwurf an diejenigen, die mich umgeschult haben. Sie dachten, sie machen es richtig.“¹

Auf Unverständnis traf bei der Großmutter eines Linkshänders 1986 allerdings die Aufforderung: „Nimm die feine Hand.“ Beziehungsweise der Eintrag im Zeugnisheft mit dem Vermerk: „Note wäre besser ausgefallen, wenn Handschrift besser gewesen wäre.“²
Daraufhin schaltete sich die besorgte Großmutter ein und stellte die Lehrerin zur Rede und fragte, was denn die „feine Hand“ sei, da die Linkshändigkeit für die Familie Normalität war und keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Schon im vierten Monat griff das Kind das Spielzeug mit rechts und lässt es fallen, um es mit links zu halten. Später war es im Kindergarten für den aus Thüringen stammenden Jungen auch kein Problem. So setzte sich dessen Oma gegen eine Umschulung ein. Daraufhin stand das Thema Linkshändigkeit in der Schule auch nicht mehr zur Debatte. Bis heute ist er problemlos Linkshänder geblieben. Wesentlich mehr Probleme hat dagegen der jüngste Befragte unseres Interviews. Der 33 – Jährige Heilerziehungspfleger Herr P. aus Baden- Württemberg, kämpft seit seiner Kindheit mit seiner unbewussten Linkshändigkeit.

Schon 1989, als Kind, lernte er sich im rechtshändig orientierten Umfeld anzupassen. Seiner Mutter, selbst umgeschulte Linkshänderin, fiel schon früh seine verkrampfte Stifthaltung auf. Auch später hatte die Mutter immer noch die Vermutung, dass in ihm ein verkannter Linkshänder stecken könnte, aber Linkshänderberatungsstellen, sowie das Internet standen damals noch nicht so einfach wie heute, zur Verfügung.

Bereits als Kleinkind war er sehr aufmerksam und bedachte die Ausführung und die jeweilige Wahrnehmung seiner Aktionen genau, er tat alles, um anderen zu gefallen und so übernahm er die ihm vorgelebte Rechtshändigkeit. Heute hat er erkannt, dass der Wunsch jedem ständig zu gefallen eine der größten Bremsen in der Entwicklung hin zur Eigenständigkeit war.

Es fällt der resümierende Satz: “Wenn man immer nur tut, was andere von einem wollen (könnten), verlernt man den Blick für die Dinge, die man gerne selbst wollen würde.“³
Seine unbewusste Umschulung zog schwerwiegende Folgen nach sich. Bis ins Alter von 16 Jahren war er Bettnässer, er hat Konzentrationsschwierigkeiten und lebt bis heute lieber in Zurückgezogenheit als unter Menschen, selbst wenn er diese kennt.

¹ www.forum-ddr-grenze.de/t9996f50-Linkshaender-bei-der-Grenztruppe.html, (10.08.2016, 17.06 Uhr)
² Siehe Anhang /Auszug 10. Interview mit der Großmutter des Betroffenen
³ Siehe Anhang /Auszug 11. Interview mit Herrn P.

Trotz folgenschwerer Konsequenzen, die ihm bis heute sogar in seinem Berufsalltag einschränken, reagiert auch Herr P. weder verbittert noch vorwurfsvoll auf das Thema seiner Umschulung. Er sagt, dass es heute einfach ist, zu sagen „die haben damals alles verkehrt gemacht.“ Heute weiß man seiner Meinung mehr als damals. Die Umschulung sieht er als Spiegel für die damalige Zeit. Für das, was damals als richtig angesehen wurde, findet er rückblickend drastische Worte. Er nennt es „Vergewaltigung der Kinder“.¹

Abschließend lässt sich sagen, dass die Situation von den befragten Linkshändern sehr unterschiedlich war.
Gemeinsam haben alle die Unwissenheit über Linkshändigkeit, die durch die 43 Jahre sich auch bis 1989 nicht grundlegend zu 1946 geändert hat.

Mit Vorurteilen wurden glücklicherweise die wenigsten konfrontiert. Und auch nur der geringste Teil fühlt sich im Alltag einschränkt oder nicht gleichberechtigt.
Besorgniserregend sind die Methoden der Umschulung aufgefallen. Wer mit links schrieb bekam Schläge mit dem Rohrstock auf die Fingerspitzen oder es wurde die linke Hand auf den Rücken geschnürt, da nur die Verwendung des „schönen Händchen“ erlaubt war.

Glücklicherweise verboten die Gesetzesentwürfe 1949 und 1973 diese Züchtigung und in Bezug auf die Toleranz ist der Begriff des „schönen Händchens“ in meiner Generation weitestgehend unbekannt. Es ist „das Glück der späten Geburt.“, so nennt es der Herr W. abschließend. Er beneide heutige Linkshänder, die ihre Händigkeit von Kindheitsbeinen an uneingeschränkt ausleben können, ohne in ihrer Kindheit eingeschränkt zu werden.²

¹ Siehe Anhang /Auszug 11. Interview mit Herrn P.
² Siehe Anhang /Auszug 7. Interview mit Herrn W.