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6.5 Rückschulungsmaßnahmen – (10/2016)

Bei einer Rückschulung der Händigkeit trainieren umgeschulte Linkshänder, die bisher aufgrund einer vorangegangenen Umschulung die nicht dominante rechte Hand zum Ausführen vieler Tätigkeiten genutzt haben, nun die dominante linke Hand wieder zu benutzen. So werden sie Schritt für Schritt zur eigentlichen Linkshändigkeit zurückgeführt und die natürliche Dominanz der Gehirnhälften wird wieder hergestellt.
Gerade in den letzten Jahrzehnten lassen sich immer mehr umgeschulte Linkshänder rückschulen. Dabei ist die Rückschulung keine neue Erfindung. Schon 1964 erwähnte sie ein Sonderpädagoge in Prag in seinem Buch.¹

Eine Rückschulung der Händigkeit trifft meistens nur das Gebiet des Schreibens. Auch deshalb, weil viele Linkshänder, die zum Beispiel im Sport zum Werfen die rechte Hand benutzen, oder mit rechts schneiden, diese Prozesse bereits automatisiert haben. Hier würde eine Rückschulung nur ein Risiko bedeuten und es ist besser, die angewöhnten Tätigkeiten so beizubehalten.

Das gilt aber nur, wenn sie lediglich ab und zu ausgeführt werden und man damit keiner permanenten Belastung ausgesetzt ist, sowie das beim Schreiben der Fall wäre. Bevor man sich für eine Rückschulung der Händigkeit entscheidet, sollte man die Notwendigkeit genauestens durchdenken. Das steht im Zusammenhang mit der Bedeutung des Schreibens und anderen Tätigkeiten mit der nicht dominanten Hand im Leben der Person, aber auch das Alter und der Grad der Umschulung, sowie die Stärke auftretender Folgen können ausschlaggebend sein.

Denn zahlreiche Menschen kommen auch mit der Umschulung ihrer Händigkeit ohne große Hindernisse gut zurecht. In diesem Fall wäre eine Rückschulung schlichtweg nicht nötig und kann der Person eine Menge zusätzliche Belastungen ersparen. Die Erwartungen an die Rückschulung sind meistens hoch. Betroffene hoffen auf ein besseres Schriftbild und die Ermöglichung schnelleren Schreibens. Eine bessere Konzentration und weniger häufig auftretende Blackouts, sowie die Lösung von sekundären Problemen lassen das Leben nach der Rückschulung viel einfacher wirken.²

Eine Rückschulung kann auch mit einer Art homöopathischen Behandlung verglichen werden. Die Erfolgsquote kann aber sehr unterschiedlich sein.
Zuerst einmal spielt der Zeitpunkt eine wichtige Rolle. Denn Krankheit, Stress und Probleme im Alltagsleben können sich als hinderlich erweisen. Besser ist es, keinen außerordentlichen Belastungen ausgesetzt zu sein und einem routinierten Tagesablauf zu folgen.

Der Erfolg ist gerade bei Erwachsenen „abhängig von der Widerstandskraft des Nervensystems“³. Grundsätzlich ist eine Rückschulung in jedem Alter möglich. Die Chance auf Erfolg ist aber umso höher, je jünger die Person ist. Deswegen ist die Rückschulung zur Linkshändigkeit im Kindergarten- und Grundschulalter am effektivsten.

Der Erfolg hängt aber auch von der Unterstützung der Eltern und Pädagogen ab, die dem Kind mit Geduld und Motivation begegnen sollten. Die Rückschulung bei Kindern ist ein umfangreiches Themengebiet, was sich etwas von dem, im Erwachsenenalter, unterscheidet. Denn gerade die Kinder haben ihre individuellen Stärken und Schwachpunkte und darauf muss bei einer Rückschulung Rücksicht genommen werden.

¹ Vgl. Bremer, Judith: „Einfach links schreiben: praktischer Ratgeber für Eltern, Lehrer und Erzieher“/ VAK Verlags GmbH Kirchzarten bei Freiburg/ 2010/ S. 57
² Sattler, Johanna Barbara: „Der umgeschulte Linkshänder oder der Knoten im Gehirn“ / Auer Verlag GmbH Donauwörth / 2010 / S. 228
³ Ebenda / S. 143
Vgl. Bremer, Judith: „Einfach links schreiben: praktischer Ratgeber für Eltern, Lehrer und Erzieher“/ VAK Verlags GmbH Kirchzarten bei Freiburg/ 2010/ S. 43-47

Daher ist eine fachmännische Hilfe so gut wie unverzichtbar. Dem Kind muss erklärt werden, dass es selbst keine Schuld trägt und die Rückschulung keine Bestrafung sein soll, sondern eine Art, die auftretenden Folgen der Umschulung zu verringern. Denn „die Umschulung ist das Problem und nicht die Händigkeit“.¹

In der Pubertät ist eine Rückschulung dagegen weniger ratsam. In dieser Zeit strukturiert sich das Gehirn um und es werden neue Verknüpfungen aufgebaut. Dadurch erhöht sich die Belastung und eine Rückschulung birgt das Risiko einer Überlastung und eventuellen Verschlimmerung der Folgen einer Umschulung der Händigkeit.²

Die Dauer der Rückschulung kann sehr unterschiedlich sein und hängt auch vom Alter der Person ab. Wobei es bei Erwachsenen meist länger dauert, als bei Kindern. Sogar mehrere Jahre kann es dauern bis der Patient wieder eine eigene Handschrift mit der linken Hand entwickelt hat. Denn am Anfang ähnelt sie eher einer Kinderschrift. Auch der Ablauf einer Rückschulung erfolgt nicht nach einem festgelegten Plan, sondern individuell nach den Belangen der jeweiligen Person.

Trotzdem sollte darauf geachtet werden, dass nicht zu lange beidhändig geschrieben wird. Ein Richtwert sind 4 bis 9 Monate.³ Zu Beginn werden mehrere Wochen lang meist täglich 5 bis 15 Minuten lang Schwung- und Nachspurübungen mit der linken Hand ausgeführt. So kann sich langsam an das Gefühl gewöhnt werden. Wichtig ist auch der routinierte Ablauf dieser Übungen.

Später kann dann versucht werden, Zahlen und einzelne Buchstaben, sowie kleine Wörter zu schreiben. So wird Schritt für Schritt immer mehr mit der linken Hand geschrieben, bis man schließlich nur noch mit dieser Hand schreibt. Fortschritte in der Rückschulung lassen sich am besten erkennen, wenn man die Schreibübungen aufhebt und datiert.

Gerade für Kinder ist es wichtig, dass sie die Lust daran nicht verlieren. So kann zum Beispiel vor den Hausaufgaben spielerisch geübt werden und dem Kind sollten Anlässe zum Schreiben gegeben werden, wie das Anfertigen von Listen.

Während der gesamten Rückschulung ist die Betreuung durch einen erfahrenen Therapeuten ratsam, denn er kann entscheiden, wann der Patient bereit ist, den nächsten Schritt der Umschulung zu ergreifen. Wenn das gerade nicht geht, kann es auch ausreichend sein, wenn Bezugspersonen unterstützend zur Seite stehen und aufpassen, dass derjenige die Umschulung nicht zu schnell durchführt. Für viele, in Rückschulung befindliche Linkshänder, ist ein psychischer Beistand hilfreich und geradezu notwendig.

¹ Vgl. Bremer, Judith: „Einfach links schreiben: praktischer Ratgeber für Eltern, Lehrer und Erzieher“/ VAK Verlags GmbH Kirchzarten bei Freiburg/ 2010/ S. 63
² Vgl. ebenda / S. 48-49
³ Vgl. ebenda / S .56
Vgl. ebenda / S. 53-55
Vgl. ebenda / S. 55

Doch auch wenn diese Aufgaben zunächst einfach klingen, ist viel Konzentration und Aufmerksamkeit gefordert. Es sollte in Ruhe geschehen und auf eine richtige Schreibhaltung geachtet werden.¹ Denn die Hand und vor allem das Gehirn müssen sich auf die Umstellung der Schreibhand einrichten.

Während einer Rückschulung kann es gegebenenfalls zu Rückschlägen und Entmutigungen der betreffenden Person kommen. Manche Menschen neigen dazu, in Spiegelschrift zu schreiben.

Negative Erscheinungen können auch Schmerzen in der Hand und Erschöpfung sein. Gerade dann ist es besonders wichtig, denjenigen zu unterstützen und zu ermutigen, die Rückschulung fortzuführen. Bei zu großen Beschwerden können Pausen eingelegt werden. Man sollte sich ebenfalls darüber im Klaren sein, dass nicht jede Rückschulung erfolgreich verläuft.

Die Art der Umschulung gibt oft Rückschlüsse über den Erfolg. Eine Umschulung, die durch körperliche oder psychische Bestrafung erfolgte, ist schwierig rückzuschulen.² Einfacher fällt es jedoch, wenn in der Vergangenheit, meist Kindheit, schon die linke Hand möglichst lange für viele Tätigkeiten benutzt wurde, dann kann das Gehirn auf die Erfahrungen zurückgreifen.

Ist also eine Umschulung relativ leicht vonstattengegangen, wird auch die Rückschulung mit großer Wahrscheinlichkeit einfach verlaufen. Auch beidhändig ausgeführte Tätigkeiten, wie zum Beispiel das Spielen von Instrumenten, können sich positiv auf die Rückschulung auswirken.³

Mögliche Gefahren birgt eine Rückschulung nur dann, wenn Personen selbst, ohne professionelle Hilfe, eine Rückschulung beginnen, sich aber nicht über das Ausmaß im Klaren sind oder es nicht ernst genug nehmen. Wenn sie dann in eine Krise geraten, lassen die meisten von einer weiteren Rückschulung ab. Aber um eine eindeutige Aussage über die Gefahr einer Rückschulung machen zu können, ist dieses Gebiet noch zu wenig erforscht. Selbst Experten sind sich noch nicht einig darüber.

Eine Rückschulung kann auch durchaus positive Aspekte mit sich bringen, vor allem bei Erwachsenen. Da sich nun die rechte Gehirnhälfte weiter entfalten kann, nimmt die Person viele Erlebnisse intensiver wahr, man fühlt sich im eigenen Körper wohler und wird selbstsicherer. Außerdem kann sie auch zu einer „Befreiung von Rausch- und Genussmitteln beitragen“.

¹ Vgl. Neumann, Marina: „Natürlich mit Links . Zurück zur Linkshändigkeit – Befreiter leben mit der starken Hand“ / Ariston Verlag / 2014 / S. 149
² Vgl. Sattler, Johanna Barbara: „Der umgeschulte Linkshänder oder der Knoten im Gehirn“ / Auer Verlag GmbH Donauwörth / 2010 / S. 170
³ Vgl. ebenda S. 198 ff.
Vgl. Neumann, Marina: „Natürlich mit Links . Zurück zur Linkshändigkeit – Befreiter leben mit der starken Hand“ / Ariston Verlag / 2014 / S.133
Bremer, Judith: „Einfach links schreiben: praktischer Ratgeber für Eltern, Lehrer und Erzieher“/ VAK Verlags GmbH Kirchzarten bei Freiburg/ 2010/ S. 139

Das hängt damit zusammen, dass man sich während der Rückschulung unweigerlich mit seiner Vergangenheit und erfolgten Umschulung auseinandersetzt, in der Fachsprache auch Psychoanalyse¹ genannt. Dabei stoßen viele Menschen auch auf andere Probleme in ihrem Leben.

Die Rückschulung kann so helfen, eine „seelische und körperliche Balance her(zu)stellen“², manche erkennen neue Charakterzüge und Leidenschaften, andere haben den Mut etwas ganz neues anzufangen. Viele erfolgreiche rückgeschulte Linkshänder finden, dass die „Rückschulung das Beste in ihrem Leben“³ war.

In München, in der Linkshänderberatungs- und Informationsstelle werden auch Ergebnisse von Studien ausgewertet. So auch hunderte Rückschulungen. Das Ergebnis zeigt, dass die Rückschulungen sehr unterschiedlich erfolgten, denn alle Menschen haben verschiedene Reaktionen auf Lebenssituation und Probleme. Folglich kann kaum eine Verallgemeinerung stattfinden, denn jede Umschulung muss einzeln gesehen werden.

Was den finanziellen Aufwand bei einer Rückschulung betrifft, so ist auch dieser sehr unterschiedlich, sodass sich hier nichts Genaueres nennen lässt. In speziellen Praxen kann man mit höheren Preisen rechnen als bei ergotherapeutischen Praxen. Oft übernimmt die Krankenkasse einen Teil der Kosten, wenn die Rückschulung von einem Arzt, durch ein sogenanntes ergotherapeutisches Rezept, verordnet wurde. Unvermeidlich in den meisten Fällen werden jedoch die entstehenden Fahrtkosten sein, da das deutschlandweite Angebot an Rückschulung durchführenden Praxen noch ausbaufähig ist.

¹ Sattler, Johanna Barbara: „Der umgeschulte Linkshänder oder der Knoten im Gehirn“ / Auer Verlag GmbH Donauwörth / 2010 / S. 145
² Neumann, Marina: „Natürlich mit Links . Zurück zur Linkshändigkeit – Befreiter leben mit der starken Hand“ / Ariston Verlag / 2014 / S. 180
³ Ebenda / S. 200