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6.3 Unbewusste Umschulung bei Kindern / Jugendlichen – (10/2016)

Die Umschulung kann auch, anders als oft fälschlicherweise angenommen wird, ohne Zwang oder fremdes Eingreifen erfolgen. Nämlich, indem sich die Kinder selbst, durch bloßes Nachahmen der Tätigkeiten anderer Personen, umschulen. So können diese ursprünglich linkshändigen Kinder zu Rechtshändern werden.

Gerade im Kindergartenalter lassen sich viele Kinder leicht beeinflussen, sie suchen bei Tätigkeiten, bei denen sie sich unsicher sind, wie sie sie angehen sollen, Orientierung. Da es mehrheitlich Rechtshänder auf der Welt gibt, sind es folglich also meist Rechtshänder, die die Kinder sich als Vorbild nehmen.¹ Manche Kinder können ihre Umwelt sehr gut beobachten und sich daran orientieren.

Als Beispiel kann das Schreiben oder Malen genannt werden. Vor allem im Kindergarten sehen sie die meisten anderen Kinder das mit rechts machen. Also tun sie es ihnen einfach gleich, anstatt es selbst mit der linken Hand zu versuchen und damit anders als die anderen zu sein.

Dass viele Kinder eigentlich Linkshänder sind, aber sich so selbst zu einem Rechtshänder gemacht haben, bleibt oftmals von den Eltern unbemerkt oder wird erst viel später festgestellt. Auch die Tatsache, dass man sich oft nicht an die Zeiten aus den frühen Jahren der Kindheit erinnern kann, bewirkt, dass eine verborgene Linkshändigkeit unbemerkt bleibt. Was jedoch auch Folgen mit sich bringt, die dann oftmals völlig anderen Ursachen zugeschoben werden.

Die meisten, als Kinder unbewusst umgeschulten Linkshänder, stoßen erst sehr viel später darauf, dass möglicherweise auftretende Probleme etwas mit einer vorangegangenen Umschulung der Händigkeit zu tun haben könnten. Eltern oder Erzieher, die eine mögliche Linkshändigkeit des Kindes noch nicht bemerkt haben, reagieren, wie andere Eltern auch.

Gegenstände werden dem Kind selbstverständlich in die rechte Hand gelegt, oder die Kinder werden freundlich dazu aufgefordert, bei bestimmten Tätigkeiten doch die rechte Hand zu benutzen. Man nennt eine solche Umschulung durch die Eltern auch „Sanfte Umschulung“.²

Oft wird auch heute noch ausdrücklich, zum Beispiel beim Händeschütteln, Schreiben oder Besteck benutzen, darauf gedrängt, dass doch mit „dem schönen Händchen“³ zu machen. So wird die rechte Hand besser gewertet als die linke Hand und beeinflusst so auch unbemerkt die Händigkeitsentwicklung des Kindes. Herr P. erinnert sich: „Und meine Mutter sagte oft zu meinem Vater, er müsse mir diese Dinge zeigen, weil sie es als Linkshänderin falsch machen würde.

Ich lernte, dass rechts richtig und links ‚falsch herum‘ war.“ Weiter, schreibt er, habe er damals dem Nikolaus die linke Hand gegeben und wurde daraufhin zurechtgewiesen. „Ein Jahr später gab ich dem Nikolaus mit rechts die Hand und sagte zu ihm: ‚Jetzt gebe ich dir die richtige Hand‘. Ich wurde gelobt.“

In einem Interview mit Frau J. S., die als Kind auch von ihren Eltern beeinflusst wurde, sagte sie: „Wenn ich einen Gegenstand in die linke Hand nahm, […] haben meine Eltern zu mir gesagt: ‚Nimm das in die andere Hand‘.

¹ Vgl. Weber, Sylvia: „Linkshändige Kinder richtig fördern: mit vielen praktischen Tipps“ / Ernst Reinhardt Verlag München Basel / 2003 / S. 45
² Vgl. ebenda S. 45
³ Vgl. Bremer, Judith: „Einfach links schreiben: praktischer Ratgeber für Eltern, Lehrer und Erzieher“/ VAK Verlags GmbH Kirchzarten bei Freiburg/ 2010/ S. 13
Vgl. ebenda S.14
Siehe Anhang /Auszug 11. Interview mit Herrn P.
Ebenda

Soweit meine Eltern es mitgekriegt haben, wurde jeder  Handgriff von mir umerzwungen.“¹
All diese Fälle deuten auf eine mangelnde Kenntnis der Eltern und Pädagogen, über die Linkshändigkeit, hin. Aber auch auf das hartnäckige Bestehen auf alten Vorurteilen, die in unsrer heutigen Zeit längst nicht mehr gelten müssten.

¹ Siehe Anhang /Auszug 7. Interview mit Frau J.