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2.5 „Links“ und „rechts“ in der Gegenwart – (10/2014)

Bedingt durch falsch verstandene Traditionen, fehlende physiologische Kenntnisse, pädagogisches Fehlverhalten und ein hohes Maß an Vorurteilen bildeten sich im Lauf der Jahrhunderte die bis heute wirksamen rechtshändigen gesellschaftlichen Gewohnheiten.

Den ersten kritischen Moment im Leben eines links veranlagten Menschen stellt bereits das Erlernen des Umgangs mit Messer und Gabel sowie auch das Handgeben dar. Zu einem großen Teil wird ein Kind dabei durch die Vorbildfunktion von Verwandten und Bekannten beeinflusst. Durch ungenügende Aufklärung über Bedeutung und Ursprung der Händigkeit wird Linkshändigkeit häufig noch immer nicht als eine von zwei möglichen Händigkeitsausprägungen gesehen.

So kommt es noch heute dazu, dass Kinder durch leichten Druck, versprochene Belohnungen und Verlockungen sowie durch erzieherische Aufforderungen zum Gebrauch der nicht dominanten rechten Hand gebracht werden. /4/

Im Kindergartenalter kann es durch Einfluss der Erzieher oder der Gruppe zu Nachahmung (Modellverhalten) kommen, sodass sich eigentlich linkshändige Kinder selbst auf die rechte Hand umschulen. Welche Hand ein Schulanfänger zum Schreiben benutzen darf, bleibt in einigen Fällen noch heute der pädagogischen Grundeinstellung des physiologisch und psychologisch ungeschulten und oft unzureichend sachinformierten Lehrers überlassen, von der richtigen Schreibhaltung ganz zu schweigen.

Des Weiteren kann auch der oftmals mangelnde Informationsaustausch zwischen Pädagogen und den Erziehungsberechtigten eines Kindes ein Problem darstellen.

Es wird häufig dem Zufall überlassen, ob Eltern zur richtigen Zeit die richtige Information erhalten, die eine mit zahlreichen negativen Folgen verbundene Umschulung verhindern könnten. So können linkshandgerechte Gebrauchsgegenstände, die eine Erleichterung der Linkshänder im Alltag bezwecken sollen, nicht rechtzeitig gekauft werden und es dazu kommt, dass links veranlagte Menschen oft gegen ihre Natur handeln müssen.

Es erweist sich häufig als nicht „praktisch“, ein Linkshänder zu sein. Dennoch sind Handel und Industrie dem Bedürfnis nach linkshandgerechten Gebrauchsgegenständen entgegengekommen, sodass heute vergleichsweise viele für den linkshändigen Gebrauch konzipierte Produkte auf dem Markt zu finden sind. Alltagsgegenstände wie Messer, Scheren, Dosenöffner, Füller oder Bleistiftspitzer sind somit auch für Linkshänder erhältlich.

Oftmals können linkshandgerechte Produkte jedoch ausschließlich in Spezialgeschäften zu vergleichbar hohen Preisen erstanden werden. Die Verfügbarkeit solcher Gegenstände trägt dennoch zu einer freieren Entfaltungsmöglichkeit links veranlagter Menschen bei. Doch nicht nur eine Anschaffung entsprechender Utensilien, sondern auch die Unterstützung eines Linkshänders im Alltag sind Voraussetzungen für eine ungehinderte Entwicklung eines Kindes.

Die Hilfe beim Binden einer Schleife, beim Stricken und Häkeln, im Musikunterricht und bei der passenden Berufswahl sind dabei nicht wegzudenken. /4/ Auch Politiker setzen sich bereits mit dem Themenkomplex auseinander und gelangten bereits zu zahlreichen pädagogischen Reformideen. So wird beispielsweise in der Neufassung des Lehrplans für Grundschulen in Bayern (2000) darauf hingewiesen, dass „Linkshänder […] nicht zum bevorzugten Gebrauch ihrer nicht dominanten Hand angehalten werden“ dürfen. (/4/S.7)

Trotz der Fortschritte können sich Linkshänder nicht als vollständig integriert betrachten. Wie in zahlreichen biologischen Erscheinungen hält sich auch im Bereich der Händigkeit ein Gleichgewicht. Die reale Quote von Rechts- und Linkshändern liegt annähernd bei 1:1. In der Bundesrepublik Deutschland gibt esdennoch weitaus mehr Rechtshänder.

Zurückzuführen sei dies sowohl auf die  traditionelle Normierung zu Rechtshändigkeit als auch auf die massive pädagogische Umschulung der linkshändigen Minorität bis in die 1980er und 1990er Jahre. Erst zu dieser Zeit trat in Deutschland die weitgehende Liberalisierung der Händigkeit ein. Die ersten Erkenntnisse der Hirnforschung und der Psychoanalyse sorgten in den USA und einigen nordeuropäischen Ländern bereits wesentlich eher für öffentliches Interesse an Ursachen und Auswirkungen der Händigkeit.

Zu Beginn der 1970er Jahre wurde dieser Kontrast in zwei Studien dokumentiert. Es stellte sich heraus, dass der Anteil der aktiven amerikanischen Linkshänder bei etwa 25% lag und der der Deutschen bei gerade einmal 1,5%. Die Normalität der Linkshändigkeit in der amerikanischen Bevölkerung wird durch die Tatsache, dass vier der fünf letzten Staatsoberhäupter Amerikas linkshändig waren und auch Barack Obama ein Linkshänder ist, verdeutlicht.

Der Anteil des aktiven und sichtbaren Gebrauchs der linken Hand in Deutschland wuchs durch die zunehmende Aufklärung der vergangenen Jahre stetig an. So liegt die Zahl linksschreibender Grundschüler mittlerweile bei etwa 15 bis 25%. /18/, /19/

Um Linkshändern auch zukünftig entsprechende Förderung und Unterstützung zu gewährleisten, ist daher eine weiterhin konsequente Aufklärung über die psychologischen und physiologischen Aspekte der Linkshändigkeit, notwendig – denn die Tatsache, dass Linkshändigkeit einen wesentlicher Faktor im Leben eines einzelnen Menschen darstellt, ist unabdingbar.