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1.3 Die Gehirnhemisphärenlateralisation – (10/2003)

Unsere beiden Gehirnhälften sind auf unterschiedliche Funktionen spezialisiert. Die meisten Menschen haben jedoch ein ähnliches Aufteilungsmuster bezüglich der jeweiligen Funktionen (Abbildung 1.3 – 1).

Der grundlegendste Unterschied zwischen den Gehirnhälften ist, dass die linke Hemisphäre, welche die sensorisch und motorisch rechte Körperseite kontrolliert, das analytische, logisch – sprachliche Denken beherrscht und aufeinanderfolgend operiert, unterdessen die rechte Hemisphäre das synthetische, ganzheitliche Denken favorisiert, das beziehungsreich und gleichzeitig ist.

Aus diesen, eben dargestellten, fundamental ungleichen Verarbeitungstypen lassen sich zwei spezifische Funktionen ableiten; obendrein kommen zwei verschiedene Gefühlsstimmungen hinzu, deren Zusammenhang mit den Spezialisationen nicht ohne weiteres erklärbar ist: Die linke Hemisphäre neigt zur optimistischen Weltansicht, während die rechte zur pessimistischen Anschauung tendiert.

Hier stellte man beispielshalber fest, dass Schädigungen entweder der linken oder der rechten Hirnhälfte generell unterschiedliche Reaktionen bei Patienten hervorrufen. Verletzungen der linken Hemisphäre sind von einem Gefühl des Verlustes begleitet. Diese Behinderung erdrückt den Patienten teilweise sehr und löst oft starke Depressionen aus. Hingegen weisen Schädigungen an der rechten Gehirnhälfte mehrfach das ganze Gegenteil auf. So wurde dokumentiert, dass Patienten mit diesem Zustand sich überhaupt keine Sorgen machen, auch nicht über deren Zukunft. Konform dazu hat einstweilen Paul Ekman herausgefunden, dass sich beim echten, freundlichen Lächeln die Aktivitäten in den Bereichen der linken Hirnhälfte erhöhen.

Das Sprachzentrum ist für gewöhnlich hauptsächlich in der linken Gehirnhälfte lokalisiert. Doch auch in der rechten Hemisphäre soll es rudimentäre Ansätze geben, sodass zum Beispiel Kinder, die einen Schaden an der linken erlitten, in der rechten Gehirnhemisphäre die Sprache entfalten können.

Interessant sind hier die Erforschungen Deglins. Er berichtete von Versuchen, bei denen er zeitweise eine Gehirnhälfte mittels Elektroschocks ausschaltete. So blieb bei Patienten, deren linke Gehirnhälfte in Aktion war, die Sprache vollkommen erhalten. Dem ungeachtet kam es sogar zu einem Anstieg aller sprachlichen Aktivitäten und Fertigkeiten. Charakteristisch sind besonders eine vermehrte Gesprächsbereitschaft und die Tendenz, eine Diskussion zu beginnen; des weiteren werden der Wortschatz umfassender und Antworten detaillierter. Gleichlaufend dazu kommt es zu einer Verbesserung des Hörens, der Patient kann leisere Sprachlaute wahrnehmen, als wenn beide Hemisphären in Aktion sind. „Schläft“ jedoch die linke Hemisphäre, somit ist also nur die rechte Hirnhälfte aktiv, beweist sich ein gegenteiliges Bild: die Sprache ist beeinträchtigt, der Wortschatz verliert an Reichweite, vor allem abstrakte Begriffe gehen hierbei verloren. Der Patient äußert sich in kurzen, einfachen und flüchtigen Sätzen, auch ein Hörmangel ist nicht auszuschließen. Diesen Analysen nach geht die Sprache zwar nicht völlig verloren, denn man kann darauf schließen, dass auch die rechte Gehirnhemisphäre eingeschränkte Sprachmöglichkeiten zeigt, jedoch sind diese sehr niedrig gehalten beziehungsweise ausgeprägt, denn Deglin berichtet weiter, dass das theoretische Wissen, was sich der Mensch durch Wörter angeeignet hat, verloren gehe und das Kurzzeitgedächtnis sehr schlecht sei.

Jerre Levy – Agresti und Roger Sperry sind der Auffassung, dass sich der Mensch in dieser gehirnasymmetrischen Weise entwickelt hat, „weil die folgerichtige Informationsverarbeitung, die der Sprache, der Mathematik und dem ‚rationalen’ Denken zugrunde liegen muss, nicht ohne weiteres mit der eher gleichzeitigen Art der Informationsverarbeitung vereinbar ist, die der Wahrnehmung von Beziehungen, der Orientierung im Raum und dem, was unser Verbal – Intellekt nur als ‚Intuition’ bezeichnen kann, zugrunde liegt“.

Besonders interessant ist die rechte Hemisphäre hinsichtlich ihrer Fähigkeit für Melodie- und Tonhöhengedächtnis. Durch ihre Aktivierung werden Laute besser erkannt und wahrgenommen und Melodien sehr genau wiedergegeben. Ebenfalls sollen sprachbeeinträchtigte Men- schen mit Schädigungen an der linken Gehirnhälfte besser und problemloser singen als sprechen

können. Mit dieser Spezialisierung bringt man auch das Verständnis für Gefühlswerte im mimischen Ausdruck sowie in der Stimme anderer Menschen in Verbindung.

Deglin avisiert hier von einer subtileren Fähigkeit bei „Rechtshirnigkeit“, den Tonfall zu explizieren und Stimmen zu unterscheiden. Hinzukommend bleibt die Stimme des Patienten gleich, während bei aktiver linker Hirnhälfte der Tonfall an Ausdruck und Redefigur verliert, monoton, flach, ja regelrecht farblos wirkt und die Person Schwierigkeiten habe, musikalische Töne zu erkennen; es treten sogar Probleme bei der Unterscheidung männlicher und weiblicher Stimmen auf, ganz zu schweigen von einer Unfähigkeit, Melodien zu erfassen.

Diese kurze, zusammengefasste Einsicht in die Geschichte der Forschungen über die Gehirnspezialisationen soll auch zeigen, wie man auf die aufgeführten Aufteilungen der nachfolgenden Tabellen gekommen ist. Allerdings muss man ebenso sagen, dass die Forschung hier noch in den Kinderschuhen steckt, oder wie Frau Dr. Johanna Barbara Sattler zu formulieren pflegt: „Wir sehen wahrscheinlich erst die Spitze des Eisberges und sollten vorsichtig sein, von ihr auf die Form und Ausmaße des Massivs unter der Wasseroberfläche zu schließen.“. Mit fortschreitender wissenschaftlicher Methodik wird man sicher auch in Zukunft genauere Ergebnisse erforschen, genau wie im Bezug auf die Zusammenarbeit der beiden Hemisphären und den Störungen zwischen ihnen.

Es gibt einen Mythos, der besagt, dass unterschiedliche Aktivitäten und psychische Anforderungen nur eine der beiden Hemisphären in Gang setzen, während die andere Gehirnhälfte bloß in einem Zustand der Bewusstlosigkeit vor sich hin dämmere. Dieser Urglaube von den „zwei Gehirnen“ beruht auf einer irrigen Voraussetzung, nämlich: Da jede der Hirnhälften spezialisiert war, müssten diese eigentlich auch wie völlig nonkonformistische Gehirne arbeiten und funktionieren. Die Biopsychologin Jerre Levy wehrt sich ganz entschieden gegen diese falsche Vorstellung, denn tatsächlich ist das gesamte Gegenteil richtig, da die Hirnregionen so differenziert sind, dass sie, anstatt ihre Funktionen als selbstständige Gehirne auszuüben, ihre Aktivitäten vielmehr aufeinander abstimmen. Und gerade diese Integration ermöglicht erst Verhaltensweisen und Bewusstseinsprozesse, die über spezifische Einzelwirkungen jeder Region herausragen. Weiterhin stellt sie fest, dass es sowohl psychische als auch physiologische

Basen dafür gibt, dass Menschen im relativen Gleichgewicht der Aktivierung beider Hemisphären unterscheiden. Zudem besteht ein deutlicher Zusammenhang hinsichtlich der Aktivität der Gehirnhälften, der Stärke über sprachliche sowie räumliche Fähigkeiten und wie diese im Vergleich zueinander profiliert sind.

Doch gibt es auch keinerlei Belege dafür, dass Menschen reine „Linkshemisphäriker“ oder „Rechtshemisphäriker“ sind. Es besteht vielmehr ein Kontinuum, also ein fortlaufender Zusammenhang zwischen den Hemisphären. Folglich konnte man sagen, dass es Menschen gibt, deren linke Hirnhälfte ausgeprägter ist, dementsprechend auch deren Sprachfunktionen sich mehr entfalten konnte, wie es ebenso Personen gibt, die eine stärkere Rechtshirnigkeit aufweisen und bei denen sich somit die räumlichen Fertigkeiten besser und effektiver ausgeprägt haben.

Letztendlich ist bei den beschriebenen Forschungen und wissenschaftlichen Experimenten eines besonders erkenntlich, und zwar, dass beide Hemisphären anlagebedingt eigene Funktionsbereiche haben, aber auch fähig sind, manche bei Bedarf als Ersatz zu entwickeln, allerdings nicht auf dem ursprünglichen Niveau. Darüber hinaus ist festzustellen, dass zwischen den beiden Gehirnhälften Informationen ausgetauscht werden, sie miteinander kooperieren, sich aber auch gegenseitig behindern können.