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2.1 Forschungslage von damals – (09/2023)

Es wurde schon früh versucht, die Linkshändigkeit zu erklären und zu verstehen. Bereits in der Antike stellte Platon erste Thesen zu der Thematik auf. Zu seiner Zeit galt die Linkshändigkeit als ein antrainiertes und durch die Erziehung geprägtes Merkmal. In Platons siebten Buch der Gesetze wird diese Ansicht durch einen Dialog zwischen einem Athener und dem Kreter Kleinias veranschaulicht. Sie behaupten, dass alle Menschen beidhändig auf die Welt kommen und dass die Bevorzugung der linken Hand erst durch die falsche Erziehung durch die Mutter zustande kommt. Das Nichtverwenden einer der Hände wird als „Lahmheit an einer Hand“ bezeichnet1. Nicht nur Platon versuchte die Ursachen der Linkshändigkeit zu ergründen. Viele der frühen Theorien weiterer Wissenschaftler deuten an, dass die Händigkeit auf mechanische Eigenschaften des menschlichen Körpers zurückzuführen ist. Nach  Ludovico Ricchieri, welcher einer der ersten Forscher der Neuzeit in diesem Bereich war, beeinflusst das Situs-Inversus Phänomen die Händigkeit eines Menschen. Bei benanntem Phänomen liegen die Organe auf der anderen Körperseite als sie es üblicherweise tun. Dies bedeutet zum Beispiel, dass wenn die Leber auf der falschen

Seite des Körpers liegt oder sie nicht optimal funktioniert, der betroffene Mensch ein Linkshänder ist2.

Diese These wurde jedoch schon wenige Jahre später von dem Arzt Thomas Browne widerlegt. Er stellte fest, dass es das Situs-Inversus Phänomen zu selten gibt als dass es wirklich die Ursache für Linkshändigkeit sein kann. Laut Ricchieri wären alle Linkshänder mit der Leber auf der falschen Seite geboren. Browne fand jedoch heraus, dass es mehr Linkshänder als Menschen mit dem Situs-Inversus Phänomen gibt3.

Ricchieris These fand trotz ihrer Widerlegung noch bis in die Mitte des 19. Anerkennung bei manchen Wissenschaftlern. So argumentierte Andrew Buchanan, Physiologieprofessor in Glasgow, dass aufgrund des Gewichts der Leber auf der rechten Körperseite der Schwerpunkt des Körpers ebenfalls dort liegt. Deswegen, so Buchanan, neigen wir dazu unser Körpergewicht vorwiegend auf die linke Seite zu verlagern. Das gewährt der rechten Hand mehr Beweglichkeit und so begründet Buchanan die Vorliebe für die rechte Hand. Wenn man diese Argumentation mit der von Ricchieri zusammenführt würde bei Linkshändern die Leber auf der linken Seite liegen, weswegen sich ihr Körperschwerpunkt, laut Buchanan, auf der rechte Seite befindet und die linke Hand somit mehr Bewegungsfreiheit hat4.

Wie jedoch bereits erwähnt, basiert diese These auf haltlosen Annahmen, da schon ein Jahrhundert zuvor bewiesen wurde, dass das Situs-Inversus Phänomen nicht mit der Händigkeit zusammenhängt. Ein Beispiel für die Unabhängigkeit der Händigkeit von der Lage der Leber ist ein Zeitungsartikel eines Londoner Pathologen, in dem er einen Fall von totaler Situs-Inversus beschrieb. In diesem Fall war der betroffene Mann ein Rechtshänder und es gab keinerlei Hinweise, dass er die linke Hand bevorzugt5.

Neben der Lage der Leber als Ursache der Linkshändigkeit zogen Forscher ebenfalls die Blutzufuhr der linken Körperhälfte in Betracht. Theorien, welche dies andeuteten wurden noch bis Ende des 19. Jahrhunderts aufgestellt. Zu jenem Zeitpunkt glaubte man, dass die Blutzufuhr zu den linken Gliedmaßen schlechter sei als zu den rechten. Deswegen bevorzuge der Mensch seine rechte Seite. Selbst als bereits bewiesen war, dass die Ursache der Händigkeit dem Gehirn und nicht dem Körper entstammt, wurde angenommen, dass die Durchblutung relevant ist

Neue Thesen besagten, dass die Blutzufuhr zur rechten Gehirnhälfte schlechter ist als die zur linken, wodurch die Motorik der linken Seite schlechter ausgebildet ist. Deswegen könne der Mensch nicht beidhändig sein. Wenn allerdings die Blutzufuhr zu der linken Gehirnhälfte schlechter ist, bedeutet das laut dieser Theorie, dass der betroffene Mensch ein Linkshänder ist. Jedoch wurde diese These widerlegt und seit Anfang des 20. Jahrhunderts galt der Gedanke, dass die Linkshändigkeit etwas mit den mechanischen Eigenschaften des Körpers zu tun hat, als veraltet6.

Richard Kobler stellte 1932 eine Theorie zur Linkshändigkeit auf, nachdem er mit zwei weiteren Forschern steinzeitliche Werkzeuge und Waffen untersucht hatte. Dabei fiel auf, dass sich unter den untersuchten Gegenständen mehr Werkzeuge für Linkshänder als für Rechtshänder befanden. Daraus wurde geschlussfolgert, dass in der Steinzeit alle Menschen Linkshänder waren. Durch die Kampftheorie, welche zu Koblers Zeit populär war, wurde ergründet, wie die Menschen Rechtshänder geworden sind7. Sie besagt, dass die Menschen den rechten Arm für den Kampf bevorzugen, da der linker Arm näher am Herzen liegt. Die Verwendung des rechten Arms in der Schlacht führte laut der Kampftheorie dazu, dass Menschen generell angefangen haben die rechte Hand zu bevorzugen. Aufgrund von fehlenden Beweisen wurde diese Theorie jedoch nicht tiefergreifend erforscht.

Im Jahr 1949 sorgte die von dem New Yorker Psychoanalytiker Abram Blau aufgestellte Hypothese für Aufsehen. Laut ihm ist die Linkshändigkeit ein Merkmal, welches durch Einflüsse der Umwelt entsteht. Einer damals verbreiteten Lehre der Psychologie zufolge, welche als Behaviorismus bezeichnet wird, entstehen alle Eigenschaften der Menschen, nicht nur die Händigkeit, durch äußere Einflüsse. Die Entwicklung eines Menschen und seiner individuellen Eigenschaften wird demnach durch Strafe und Belohnung bestimmt. Wenn ein Mensch auf eine bestimmte Weise auf etwas reagiert, wird dies von seinem Umfeld entweder bestraft oder belohnt. Die Ausgangsreaktion wird also abhängig von der Reaktion des Umfeldes entweder erweitert oder verhindert. Wenn ein Kind beispielsweise einen Hund streichelt, welcher es daraufhin beißt, wird sich das Kind in Zukunft von Hunden fernhalten8. Blau war ein überzeugter Anhänger des Behaviorismus und stellte, darauf basierend, eine Vermutung darüber auf, wie es zu der Mehrheit der Rechtshänder in der

Gesellschaft kam. Laut ihm begann dieser Prozess in der Bronzezeit. Damals verlangte das Anfertigen von Werkzeugen noch schwere körperliche Arbeit, sodass es üblich war, diese von Generation zu Generation zu vererben. Viele dieser Werkzeuge waren nur mit einer bestimmten Hand benutzbar, weswegen die Generation, die sie erbte, dazu gezwungen war ebenfalls diese Hand zu benutzen. Blau argumentierte auch, dass diese bevorzugte Hand dann auch dafür genutzt wurde, um neue Fähigkeiten wie das Spielen eines Instruments zu erlernen, da es den Menschen mit der Hand, welche sie für die Werkzeuge nutzten, leichter fiel9. Des Weiteren sind laut ihm, gemäß Lamarcks Evolutionstheorie, Eigenschaften, wie die Händigkeit, vererbbar. Lamarcks Evolutionstheorie wurde jedoch bereits von Darwin widerlegt.

Nach Blau wird die Linkshändigkeit, ähnlich wie bei Platon, von falscher Erziehung oder der Verweigerung von den von ihnen verlangten Haltungen verursacht. Linkshänder sind laut ihm eigensinnig, die Schuld dafür gibt er einer lieblosen Mutter. Therapie sei hierfür die einzige Lösung. Ebenso solle man von Geburt an jedes Anzeichen der Linkshändigkeit eines Kindes verhindern und unterbinden. Blaus Theorie gewann jedoch nie Anerkennung und viele Menschen hielten sie zu seiner Zeit für Aberglaube10.

Rik Smits erforschte, ob die Verteilung von Links- und Rechtshändern auf der Welt schon immer eins zu zehn war. Die bis zu 25.000 Jahre alten Wandmalereien in den Grotten von Altamira, Lascaux und Niaux bestätigen diese These. Dort befinden sich überwiegend Umrisse von linken Händen, was darauf hinweist, dass diese mit der rechten Hand gezeichnet wurden. Es gibt ebenfalls Umrisse von rechten Händen, diese sind allerdings seltener. Des Weiteren fanden Archäologen heraus, dass die Verteilung der Links- und Rechtshänder bei den Herstellern der steinzeitlichen Werkzeuge die gleiche war wie heute11. Es gibt verschiedene Hypothesen über die Überzahl der Rechtshänder in der Gesellschaft, die zwei bekanntesten entstanden im 19. Jahrhundert. Eine von diesen zwei Theorien besagt, dass sich die Rechtshändigkeit beim Daseinskampf als nützlicher erwiesen hat, da wie Kobler bereits argumentierte man so sein Herz besser schützen konnte. Die Überlebenschancen der Rechtshänder waren demnach größer als die der Links- oder Beidhänder, weswegen die links- und beidhändige Gesellschaft

genetisch verdrängt wurde. Dadurch entstand die noch heute zutreffende Verteilung von 90 Prozent Rechtshändern zu 10 Prozent Linkshändern12.

Allerdings wurde diese These widerlegt, da Koblers These in diesem Fall mit der Theorie der Erfindung des Schildes gleichgesetzt wird, welche besagt, dass die Menschen dazu gezwungen waren, die rechte Hand zu benutzten, um mit dem Schild in der linken Hand ihr Herz zu schützen. Diese Hypothese wurde durch zwei Argumente widerlegt. Erstens gab und gibt es Völker, welche das Schild nie kennengelernt haben und bei denen es trotzdem mehr Rechts- als Linkshänder gibt. Zweitens war die gängige Verteilung der Händigkeit bereits vor Erfindung des Schildes etabliert, weswegen es dort keinen Zusammenhang geben kann13.

Währenddessen sich manche Forscher immer noch mit den zuvor genannten Theorien beschäftigten, wurde das Gehirn mehr und mehr in Bezug auf die Händigkeit betrachtet. Der Hauptgedanke war, dass das Gehirn die Gliedmaßen kontrolliert und demnach mit der Händigkeit zusammenhängen könnte.

Die rechte Gehirnhälfte kontrolliert die linke Körperhälfte entgegengesetzt. Diese Asymmetrie des Gehirns wurde im 19. Jahrhundert entdeckt, wodurch die Frage aufkam, welche Gehirnhälfte und somit welche Körperhälfte ausschlaggebender ist. Anfangs kam die Vermutung auf, dass die linke Gehirnhälfte dominanter ist als die rechte, da die Mehrheit der Menschen Rechtshänder sind14.

Eine weiterer Grund für diese Annahme ist, dass man bis Mitte des 20. Jahrhunderts dachte, dass die rechte Gehirnhälfte entweder leer sei oder als Reservesystem für die linke benutzt würde. Die Vermutung, dass eine Gehirnhälfte leer ist, kann aus evolutionären Gründen nicht stimmen, da ein Organ, welches so viel Energie verbraucht, leer gelassen evolutionstechnisch unrealistisch ist. Die Vermutung des Reservesystems könnte so ergründet werden, dass unser Körper mehrere Organe hat, die zweimal im Körper vorhanden sind, er aber auch mit einem auskommen würde. Ein Mensch hat zum Beispiel zwei Nieren, bräuchte aber theoretisch nur eine. Diese Organe werden allerdings immer beide verwendet, auch wenn nur eins nötig wäre, weswegen es nicht stimmen kann, dass eine Gehirnhälfte lediglich als Reservesystem benutzt wird. Abgesehen davon wurden durch

verschiedene Wissenschaftler Funktionen der linken Gehirnhälfte gefunden. Ende des 20. Jahrhunderts konnten Wissenschaftler das Gehirn ohne großen Aufwand erforschen15

Ein Grund dafür, dass Linkshänder als kreative und visuelle Menschen dargestellt werden, könnte sein, dass die dafür zuständigen Zentren in der rechten Gehirnhälfte liegen. Diese Theorie lässt sich allerdings nicht beweisen. Des Weiteren liegt das Sprachzentrum bei ungefähr 20 Prozent der Linkshänder nicht wie üblich auf der linken Gehirnhälfte sondern auf der rechten. Dies kann ebenfalls bei Rechtshändern passieren, so wie es sein kann, dass sich das Sprachzentrum weiter in der Mitte befindet und somit auf beiden Gehirnhälften liegt16.

Die linke Gehirnhälfte gilt als dominanter, da sie uns hilft Zeit, Sprache und Zahlen zu verstehen. Die rechte Gehirnhälfte ist zuständig dafür, Zusammenhänge zu verstehen. So fällt das Erkennen eines Liedes in den Zuständigkeitsbereich der rechten Gehirnhälfte, aber das Klopfen eines Rhythmusses auf einem Tisch in den der linken Gehirnhälfte17.

All diese Theorien sind jedoch nur Erklärungsansätze für die Ursachen der Linkshändigkeit. Um zu verstehen wie diese funktioniert, müsste man das Gehirn besser verstehen und besser erforschen. Nur ging dass mit den Mitteln, die im 20. Jahrhundert bekannt waren, noch nicht18.

  1. Vgl. Linkshänder Geschichte, Geschick, Begabung. 1994. S. 115 ↩︎
  2. Vgl. Linkshänder Geschichte, Geschick, Begabung. 1994. S. 116 ↩︎
  3. Vgl. Linkshänder Geschichte, Geschick, Begabung. 1994. S. 117 ↩︎
  4. Vgl. Linkshänder Geschichte, Geschick, Begabung. 1994. S. 118 ↩︎
  5. Vgl. Linkshänder Geschichte, Geschick, Begabung. 1994. S. 118 ↩︎
  6. Vgl. Linkshänder Geschichte, Geschick, Begabung. 1994. S. 119 ↩︎
  7. Vgl. Das Linksphänomen Die eigenwillige Prägung des Lebens. A. Jendrusch, M. Ritschel, S. Wachtel. 1989. S. 51-52 ↩︎
  8. Vgl. Linkshänder Geschichte, Geschick, Begabung. 1994. S. 120 ↩︎
  9. Vgl. Linkshänder Geschichte, Geschick, Begabung. 1994. S. 120-121 ↩︎
  10. Vgl. Linkshänder Geschichte, Geschick, Begabung. 1994. S. 122-123 ↩︎
  11. Vgl. Linkshänder Geschichte, Geschick, Begabung. 1994. S. 124 ↩︎
  12. Vgl. Linkshänder Geschichte, Geschick, Begabung. 1994. S. 125-126 ↩︎
  13. Vgl. Linkshänder Geschichte, Geschick, Begabung. 1994. S. 126 ↩︎
  14. Vgl. Linkshänder Geschichte, Geschick, Begabung. 1994. S. 140-141 ↩︎
  15. Vgl.  Linkshänder Geschichte, Geschick, Begabung. 1994. S. 144 ↩︎
  16. Vgl. Linkshänder Geschichte, Geschick, Begabung. 1994. S. 146 ↩︎
  17. Vgl. Linkshänder Geschichte, Geschick, Begabung. 1994. S. 148 ↩︎
  18. Vgl. Linkshänder Geschichte, Geschick, Begabung. 1994. S. 186-187 ↩︎